LESERINNENBRIEFE
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Blick durch die Metropolenbrille

■ betr.: „Die Mitte ist am Arsch der Welt“, taz vom 16. 5. 14

Wie ein aus seiner Höhle kommendes Erdmännchen taucht plötzlich Peter Schulz auf, um mit einem nichtssagenden Artikelchen die gerade so noch geneigte (Land-)Leserschaft der taz, die nicht im hippen Berlin zu Hause ist, rabiat zu nerven. Ich mag lieber in der Nähe von „in milchigen Schleier gehüllten Wäldern“ sein (was eigentlich ganz schön ist), als in einen milchigen Schleier aus Borniertheit und Arroganz zu blicken. Dass die deutsche Provinz so aussieht, in den Dörfern keine Arbeitsplätze sind und man durch die Vernichtung der Infrastruktur auf das Auto angewiesen ist, ist ja substanziell keine neue Erkenntnis. Und dass man „Menschen zu Hause aufsuchen muss, um mit ihnen zu sprechen“, weiß man ja auch ohne Nachhilfe von investigativen Journalisten. Aber vielleicht gibt es doch mehr, als auf den ersten Blick durch die Metropolenbrille und im Vorbeifahren zu sehen ist. Auch das für die feinen Ohren des Autors so lästige „unaufhörliche Vogelgezwitscher“ ist einer Entfremdung geschuldet, die das Zischen eines Bierzapfhahnes und das Aufschäumgeräusch eines Milchkaffees als das natürlich vorhandene Hintergrundgeräusch dieser Welt betrachtet.

Kleines Zitat aus Asterix, „Die Lorbeeren des Cäsar“, Homöopatix: „Weißt du, leben kann man nur in Lutetia. Das übrige Gallien ist gut für Wildschweine.“ Majestix: „Gib mir noch etwas von dem Wein, Obelix!“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

PETER SCHMAUSS, Geiselbach

Schlicht Vulgärkonstruktivismus

■ betr.: „Der? So? Wirklich?“, taz vom 16. 5. 14

Überraschenderweise sind die Ja- und Nein-Kommentare von Ulrike Winkelmann und Jan Feddersen zum Aufruf von Intellektuellen, Alexis Tsipras bei der Europawahl zu unterstützen, gleich ärgerlich. Dass Feddersen das lebensgefährliche Zusammenbrechen der Sozialsysteme in europäischen Krisenstaaten als „Macke“ abtut, sagt einiges über ihn selbst und hoffentlich weniger über die „echte libertäre Linke“, zu der er sich zählt. „Lust an der Apokalypse“ kann den UnterzeichnerInnen nur unterstellen, wem das Mitleiden am Leiden der anderen suspekt ist und wer „das Soziale“ (Feddersen) für weniger wichtig hält als individuelle Freiheitsrechte, Minderheitenschutz und demokratische Teilhabe. Tatsächlich ist es deren Voraussetzung. Dass Feddersen seine Unterstellungen von dem herleitet, was die AutorInnen des Appells nicht sagen (aber angeblich meinen), ist schlichter Vulgärkonstruktivismus.

Winkelmanns Behauptung, es handele sich bei dem Aufruf um eine Intervention von TheoretikerInnen, die ansonsten unpolitisch in ihrem akademischen Elfenbeinturm leben, trifft zumindest für die meisten der UnterzeichnerInnen nicht zu: Sie waren ihr Leben lang politische Intellektuelle. Tariq Ali, Doreen Massey, Leo Panitch oder Hilary Wainwright als „VortänzerInnen der Postmoderne“ zu bezeichnen ist ungefähr so sinnvoll, wie Feddersen und Winkelmann stramme MarxistInnen zu nennen. SEBASTIAN BERG, Bochum

Das Buch wird nichts ändern

■ betr.: „Dem Teufel ein Schnippchen schlagen“, taz vom 17. 5. 14

Was ist das Besondere an diesem Buch? Vermutlich, dass es in den USA erschienen ist. Der interessierte Bürger sollte wissen, warum wir es in den entwickelten Ländern mit unermesslich wachsendem Reichtum und gleichzeitig mit immer mehr Armut zu tun haben. Das Problem: die Zusammenhänge sind bekannt, aber die Politik handelt nicht. Und daran wird auch das „Buch des Jahrzehnts“ nichts ändern, schon gar nicht in den USA. DIETER STOMPE, Erfurt

Keine einfachen Chancen

■ betr.: „Krieg der Krise!“, taz vom 17. 5. 14

Natürlich bietet jede Krise auch Chancen. Vor allem für die Gewinner der Krise. Denn so wie jeder Krieg Kriegsgewinnler und Kriegstote hat, gibt es auch in jeder Krise Nutznießer. Im Falle der „Finanzkrise“ dürften die vor allem die „Märkte“ und die internationalen Finanzspekulanten gewesen sein. Bestanden doch die Bankenrettungen vor allem darin, etliche Milliarden öffentlicher Gelder in Privateigentum zu überführen. Für diese Finanzspekulanten dürfte die Krise also kaum den Beigeschmack einer Bedrohung gehabt haben. In die Krise gerieten hier weniger die Finanzen als vielmehr die öffentlichen Institutionen – die Staaten. Für diese bestand die Krise vor allem darin, dass sie ihren Staatssubjekten, ihren Bürgern, nicht schnell genug verständlich machen konnten, dass die neuen Einschnitte in deren soziale Besitzstände notwendig und angemessen waren. Insofern wäre es vielleicht sogar passender, von Staatskrise statt von Finanzkrise zu sprechen.

Für die Profiteure der Krise war es ein völlig normaler Vorgang. Sie haben einfach einen Gang hochgeschaltet. Wenn sich die Geschwindigkeit, mit der öffentliche Gelder privatisiert werden, permanent erhöht, ist das nun mal notwendig. Das ist keine Krise, das ist ein völlig normaler Vorgang. Wer darin eine Krise erkennt, hat vielleicht nur noch nicht bemerkt, wer bei dieser Fahrt ins (finanz-)spekulative Nirwana die Geschwindigkeit bestimmt und in wessen Einfluss es liegt, den Gang hochzuschalten. Aber welche Chancen bietet die Krise denn dann jenen, die zu den Verlierern gehören? Abspringen, wenn sich das Karussell zu schnell dreht, und einfach nicht mehr mitfahren? Ohne Geld leben, wenn alles verfügbare Geld schon anderen gehört? Hört sich ziemlich schwierig an. Aber wer hat behauptet, dass die Chancen, die aus einer Krise entstehen, einfache Chancen wären?

RICHARD HEHN, Villingen-Schwenningen