Karl Popper und der Minirock

REISEBERICHT Biennalen und Dinner für die Kunst: Die Vereinigten Arabischen Emirate versuchen ihre Zukunft zu erfinden

Scheich Nahayan bin Mubarak gibt sich als Verteidiger von Karl Poppers „Open Society“ und bezieht Stellung gegen die Islamische Republik

VON BRIGITTE WERNEBURG

Druckfrisch wird uns im Kunstmuseum von Sharjah, dem drittgrößten unter den Vereinigten Arabischen Emiraten, die Pressemitteilung zu den „Production Program Grants 2010“ überreicht. Unter 200 Einreichungen aus aller Welt hat sie die Jury unter dem Vorsitz der Präsidentin der Stiftung, Hoheit Scheicha Hoor al-Quasimi, den KünstlerInnen Bani Abidi, Zarina Bhimjji und CAMP zuerkannt. Die Arbeitsstipendien sind jeweils 100.000 US-Dollar wert.

Wir sind mit dem Direktor der Sharjah Art Foundation, Jack Persekian, verabredet. Die Stiftung will die aufblühende Kunstszene der MENASA-Region (Middle East/North Africa/South Asia) fördern und richtet die Sharajah Biennale aus. Sie wird am 16. März kommenden Jahres zum 10. Mal ihre Tore öffnen. Weil Jack Persekian in einer anderen Angelegenheit unabkömmlich ist, erläutert uns seine Stellvertreterin Lara Khaldi die Pläne für die kommende Biennale. Organisiert wird sie von Suzanne Cotter, der Kuratorin des Guggenheim Abu Dhabi Projects, Rasha Salti, einer unabhängigen Beiruter Kuratorin und dem in Chicago beheimateten Künstler und Autor Haig Aivazian.

Die Biennale will der internationalen Kunstszene nicht einen weiteren repräsentativen Auftritt geben. Vielmehr hat sie sich seit ihrem Beginn 1991 zu einem wirkungsvollen Instrument entwickelt, das Selbst- und Fremdbild der Region künstlerisch mitzugestalten und zu definieren. Sharjahs Engagement in Belangen der Kultur reicht bis in die 60er Jahre zurück, als seine Hoheit Scheich Dr. Sultan bin Mohammad al-Quasimi ein altes Fort wiederaufbauen ließ. Inzwischen finden sich in Sharjah 17 Museen und ein restauriertes Altstadtzentrum.

Das Team kann aus dem Vollen schöpfen. Das Budget der letzten Biennale lag bei fünf Millionen Dollar. (Zum Vergleich: Das Budget der 6. Berlin Biennale 2010 belief sich auf 2,5 Millionen Euro). Zum Jubiläum wird es noch höher ausfallen. Wie hoch, erfahren wir allerdings nicht. Vielleicht hätte es uns Jack Persekian sagen können. Dass wir ihn nicht treffen, wundert uns nicht mehr. Inzwischen sind wir, eine Gruppe von sieben Kunstjournalistinnen, auf Einladung des Nationalen Medienrates der Vereinigten Arabischen Emirate schon drei Tage im Emirat Abu Dhabi und nun im Emirat Sharjah unterwegs – und keine unserer Verabredungen hat je stattgefunden.

Dafür werden wir mit einem Abendessen im traditionellen Stil bei seiner Hoheit Scheich Nahayan bin Mubarak, dem Minister für Hochschulen und Wissenschaft, überrascht. Wichtige Leute in den Vereinigten Arabischen Emiraten warten seit Ewigkeiten auf die Einladung bei den Royals. Und das Abendessen ist schon die zweite Gelegenheit, bei der wir dem Scheich die Hand reichen. Am Abend zuvor, dem ersten Tag unserer Reise, der mit dem Besuch der Abu Dhabi Art Fair begann, war er Gastgeber der „Magic of Persia“. Das Wohltätigkeitsdinner begleitete eine „silent auction“ zugunsten der zeitgenössischen iranischen Kunst. Veranstalter ist eine in London und den Emiraten ansässige Gruppe von Exiliranern. Es findet im ultrapostmodernen Prachtbau des Yas Hotels statt, das gleich neben der jüngst eröffneten Ferrari World an der Formel-1-Rennstrecke liegt, wo Sebastian Vettel Weltmeister wurde.

Die kürzesten Minis

Zwar würden wir dem Scheich lieber das Mikrofon unter die Nase halten, als ihm die Hände reichen, doch man kann nicht sagen, die Veranstaltung wäre nicht aufschlussreich. Als Erstes bringt uns gleich einmal die Kleiderordnung aus dem Konzept. Denn zu unserer Überraschung sehen wir (so brav wie möglich angezogen) über den momentan angesagten Plateau-Pumps mit 15-Zentimeter-Absätzen die denkbar kürzesten Minis, bewundern wir tiefe Rückenausschnitte und großzügige Dekolletés.

Die Exiliranerinnen, die so aufmarschieren, werden sichtlich hofiert, und die Freiheiten, die sie sich nehmen, toleriert. Sie haben nach dem Fall des Schahregimes nicht nur ihren Lifestyle, sondern vor allem auch ihr Geld und geschäftliches Know-how in die Emirate transferiert. Unter den Ausländern, die 84 Prozent der Bevölkerung in den Vereinigten Arabischen Emiraten ausmachen, gilt die iranische als die bestintegrierte Gemeinde. Dem Anlass entsprechend bezieht Scheich Nahayan bin Mubarak als Verteidiger von Karl Poppers „Open Society“ Stellung gegen die Islamische Republik. Dass diese seit 1992 mehrere Inseln der Emirate beansprucht, macht ihm die Sache leicht.

Ja, „Magic of Persia“: Inzwischen ist sogar der persische Lifestyle in Abu Dhabi begehrt. Denn er stellt ein unverzichtbares Know-how dar, seitdem man in der Hauptstadt der Emirate international auf sich aufmerksam machen möchte und dazu Kunst und Kultur entdeckt hat. Bislang nämlich stahl der Nachbar Dubai Abu Dhabi die Schau – und das, obwohl es das größte, reichste und mächtigste der sieben Scheichtümern der Vereinigten Emirate ist. Seine immensen Ölvorräte reichen noch bis weit ins nächste Jahrhundert. Doch die luxuriösesten Hotels, die größten Shoppingmalls, die künstlichsten Palmeninseln, die wichtigste Kunstmesse und das höchste Gebäude fanden sich in Dubai, das so gut wie kein Öl besitzt. Als Zentrum der Immobilienspekulation wurde der Handels- und Finanzplatz von der Finanzkrise hart getroffen. Nun sieht sich Abu Dhabi am Zug.

Abu Dhabi braucht keine künstlichen Inseln. Es besitzt genügend natürliche, wie etwa die Insel Saadiyat, auf der Jean Nouvel den Louvre Abu Dhabi bauen wird, neben dem Guggenheim Abu Dhabi, mit dem Frank Gehry einen Zweitaufguss des Guggenheim Bilbao plant, während Zaha Hadid ihre Oper wie ein Ufo auf der Insel landen lässt. Fehlt nur noch Rem Koolhaas, um das Aufgebot der Stararchitekten zu komplettieren. 27 Milliarden Dollar soll Saadiyat Island gekostet haben, wenn der Kultur- und der Businessdistrikt, die Luxusressorts und die sonstigen Wohn- und Tourismusanlagen fertiggestellt sein werden.

Europäische Kulturtouristen sind sich natürlich sicher, dass man Kunst und Kultur nicht einfach einkaufen kann. Zumindest nicht in Abu Dhabi. In Hamburg schon. Dort setzen Herzog & De Meuron die Elbphilharmonie auf den Kaispeicher A, das heißt dann hanseatische Kulturpflege. Da muss kein Hehl daraus gemacht werden, dass der Prestigebau Instrument des Standortmarketings und Imagefaktor des wirtschaftlichen Erfolgs ist.

Auch im Besucherzentrum von Saadiyat Island, in dem die Planungen mit allen multimedialen Schikanen beworben werden, fehlt der Ansprechpartner für unsere Fragen. Wir kennen jetzt zwar die von Palmen gesäumte zehnspurige Schnellstraße, die nach Saadiyat führt. Doch wo ist der umweltschonende öffentliche Nahverkehr? Die Frage richtet sich an die Scheichs – mehr noch aber an die Stararchitekten wie Nouvel oder Gehry: Warum eigentlich machen sie den Anschluss an ein solches System nicht zur Bedingung ihres Museumsbaus?

Nicht der Kulturimport, sondern dass sie von Experten dieser Art umstellt sind, ist das Problem der Beduinenstämme, die jetzt, durch das Öl und die damit einhergehenden Geschäftstätigkeiten reich geworden, ihre Zukunft erfinden müssen. Eine Herkulesaufgabe, wie man fairerweise einräumen muss. Peinlich ist, dass Gehry und Co. – die sich selbstverständlich auch nicht bemüßigt fühlen, 2009 auf eine Anfrage von Human Rights Watch zu den menschenunwürdigen Arbeitsbedingen auf ihren Baustellen zu antworten – nicht mehr zu bieten haben als das, was sie in Saadiyat hinstellen. Da mag die Vorstellung von den üblichen Museumssolitären, den exklusiven Golf- und Wohnanlagen noch so altbacken sein. Ironischerweise bauen Hadid, Gehry und Nouvel in Abu Dhabi tatsächlich unsere urbane Zukunft. Denn weniger Emiratis als internationale Geschäftsleute und KunsttouristInnen sollen die Kultureinrichtungen auf Saadiyat Island bevölkern, sich dort vergnügen und niederlassen.

Eine lebendige Szene

Dass Dubai mit diesem Projekt erst einmal gescheitert ist, besagt nicht viel. Kulturell gesehen scheint die Krise mit den um 25 Prozent gefallenen Mieten und den Leerständen sogar ein Chance zu sein. Denn anders als in den Planungsstaaten Abu Dhabi und Sharjah, hat sich in Dubai im Schatten des kommerziellen Wildwuchses eine lebendige, freie Kunst- und Kulturszene entwickelt. Im Al-Quoz-Industriegebiet sind 17 Galerien wie The Flying House, The Shelter, B21 oder The Third Line zu finden. In ihnen wird nicht nur Kunst gezeigt, sondern es finden auch Live-Performances, Filmvorführungen, Workshops oder Panel-Diskussionen statt. Dubai könnte also am Ende in Sachen Kultur wieder die Nase vorne haben. Wir können die Szene allerdings nicht in Augenschein nehmen; auch in Dubai sind sämtliche unserer Verabredungen geplatzt.