Ein Stück Freiheit mit Wasser

taz-Serie „Solidarische Ökonomie“ (Teil 4): Eigentlich sollte das Bad in der Baerwaldstraße längst geschlossen und eine Ruine sein. Doch vor fünf Jahren übernahm ein Bündnis von Sportvereinen das Haus. Auch aus Verantwortungsgefühl für den Kiez

von ULRICH SCHULTE

Der raue Bodenputz, auf den Joachim Uffelmann gerade klopft, erzählt eigentlich die ganze Geschichte. Sie handelt von einem über 100 Jahre alten Kreuzberger Schwimmbad, von seinem Auf- und Abstieg, von Bürgerengagement und der Idee, im Kleinen etwas Großes zu bewirken.

Uffelmann, ein 64-Jähriger mit dichtem weißen Haar und großer Metallbrille, der sich jetzt im ehemaligen Duschsaal des Bades an der Baerwaldstraße wieder aufrichtet, kann das in wenigen Worten sehr treffend zusammenfassen. Warum er das alles macht. „Vielleicht erlebe ich nicht mehr, dass hier alles fertig wird. Aber deshalb höre ich doch nicht auf, dafür zu arbeiten. Sonst ist das Bad nämlich unwiederbringlich verloren für die kommenden Generationen.“

Dass der rissige Putz wieder zu sehen ist und auf neue Fliesen wartet, ist ein großer Erfolg, den vor Jahren niemand erwartet hätte – nicht die Sportverwaltung, nicht die Berliner Bäderbetriebe, selbst Uffelmann nicht. Im Jahr 2001 beschloss die rot-rote Koalition, eine Reihe von Schwimmbädern zu schließen, auch das Baerwaldbad stand auf der Liste. Sportvereine wehrten sich, das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg unterstützte den Protest, im August 2002 erlaubte der damalige Sportsenator Klaus Böger (SPD) einem Bündnis von Sportvereinen des Bezirks, das Bad zu übernehmen. Probeweise für drei Monate. Es war die Rettung in letzter Minute, Schwimmbäder verfallen rasant. Einmal trocken gelegt, reißt der Beckenboden, rosten die Rohre. „Das wäre inzwischen eine Ruine“, sagt Uffelmann.

Im Oktober 2002 öffneten er und seine Mitstreiter nach den Herbstferien. „Wir haben es ja entgegen aller Erwartungen geschafft, weiterzumachen. Das war ein Politikum.“ Dem Personalrat der Bäderbetriebe zeigte zum Beispiel der neu gegründete Betreiberverein TSB, dass ein Schwimmbad auch mit weniger Personal funktioniert: Was vorher der Arbeitsplatz von 12 Angestellten war, wird jetzt von zwei Hauptamtlichen und einer Handvoll Ehrenamtlichen betrieben werden.

Dass sie es schaffen, liegt wohl nicht nur daran, dass sie sich „ins Bad verknallt“ haben, wie Uffelmann sagt. Es hat mit dem Gefühl von Verantwortlichkeit zu tun. Er erklärt sich den Begriff „Solidarische Ökonomie“ so: „Die beiden Worte muss man zusammendenken, aber in Berlin passiert seit Jahren das Gegenteil. Die Politik liefert keine wirkliche Idee, sie beantwortet die wichtigste Frage nicht: Warum soll ich überhaupt etwas tun? Was ist das Ziel?“

Er erzählt, dass nur noch jedes fünfte Grundschulkind, das ins Bad kommt, schwimmen kann, die meisten sind nichtdeutscher Herkunft. In der Schwimmhalle ist das Verhältnis an diesem Badetag noch schlechter: Nur ein Kind paddelt im tiefen Bereich, zehn mit orangefarbenen Schwimmflügeln hinter der Leine. Seit 1976 bietet das Bad muslimisches Frauenschwimmen an. „Das ist Kaffeeklatsch mit Wasser, ein Stück Freiheit. Wir bieten den Frauen eine Nische, in der sie sich austauschen können“, sagt Uffelmann. Anderswo könnten sie das nicht so offen, vermutet er. Und erzählt, dass immer wieder türkische Männer mit ihren Frauen vorfahren, für sie bezahlen und sie wieder abholen.

Trotz allen Einsatzes füllen die Bürger die Lücke, die der Staat hinterließ, nur mit Mühe. Uffelmann ist nicht nur Badbetreiber, sondern auch Werbevertreter. Studenten krochen wochenlang durch die Heizungskeller und schrieben umsonst ein Energiegutachten. Der Putz im Obergeschoss wurde nur sichtbar, weil arbeitslose Jugendliche anpackten. Vom Jobcenter geschickt, klopften sie alte Fliesen raus, rissen Trennwände ein und montierten Duschköpfe und Badewannen ab.

Hier, wo man dutzende Meter weit durch hohe Räume mit Rundbögen schaut, schlug früher das Herz des Bades: Seine ursprüngliche Bestimmung war, die Körperhygiene der Stadtbevölkerung zu sichern. Fast 80 Edelstahlwannen standen in Reih und Glied, die Duschen lagen eine Etage tiefer. Wenn die Kreuzberger die Stöpsel zogen, rauschte das Schmutzwasser in einer Rinne an der Wand entlang, die heute noch zu sehen ist.

Ließe man die Unmengen Arbeit von privaten Firmen erledigen, wäre sie nicht zu bezahlen, sagt Uffelmann, der als Inhaber einer Kreuzberger Brandschutzfirma das betriebswirtschaftliche Denken gelernt hat. „Das Bad ist wie eine jahrzehntelang nicht renovierte Altbauwohnung. Nur dass Sie nicht fünf Schichten Tapeten übereinander finden, sondern fünf oberschenkeldicke Rohrsysteme, von denen keiner weiß, wohin sie führen.“

Im Jahr brauchen sie 350.000 Euro für den Betrieb, die Bäderbetriebe überweisen 170.000 Euro fürs Schul- und Vereinsschwimmen, den Rest erwirtschaftet der TSB mit Eintrittsgeld. Es reicht so gerade eben. Wenn etwas Ernstes passiert, etwa ein Filterkessel schlapp macht, wäre Schluss. Und deshalb wird der raue Putz im Obergeschoss wohl erst mal so bleiben, wie er ist. Unter den Schuhen knirscht Betonstaub, die Wände sind kahl – hier oben ist das 27.000 Quadratmeter große Bad eine Baustelle.

Obwohl Uffelmann Ideen genug hätte. Im ehemaligen Duschraum könnte man ein Fitnessstudio einrichten, keine Muckibude, sondern was Edles. Die arbeitslosen Jungs haben mit Kreide einen Bodybuilder an die Wand gemalt. Uffelmann streicht davor mit der Hand über den Putz. „Nicht mal heizen müsste man das Studio, fühlen Sie mal, der Boden ist warm.“ Im Raum darunter stehen die Überlaufbecken. Auch ein Hammam, ein türkisches Bad, will der Verein eröffnen, zwei Millionen Euro bräuchte er dafür, schätzt Uffelmann.

Lottomittel, Efre-Mittel, EU-Mittel, Uffelmann hofft auf die Töpfe, auf die alle Initiativen hoffen. Nur einen privaten Investor will Uffelmann nicht ins Bad holen: „Der versucht irgendwann, die Vereine und Schulen rauszudrängen. Jeder weiß, das Kapital siegt letztlich immer.“ Er vergisst, dass sein Verein jeden Tag das Gegenteil beweist.

Eintrittspreise und Öffnungszeiten des Baerwaldbades unter www.baerwaldbad.de