Offene Geheimnisse

Vor dem Verfassungsgericht begann gestern der Prozess um die „Cicero“-Affäre. Bundesregierung verteidigt die Durchsuchung der Redaktion

AUS KARLSRUHE CHRISTIAN RATH

„VS-Vertraulich – Nur für den Dienstgebrauch“. Wenn ein Dokument diesen Stempel trägt, dann ist es eigentlich geheim – und umso lieber, weil auflagesteigernd, wird daraus in den Medien zitiert. Bestenfalls dient die Veröffentlichung geheimer Akten und Dateien sogar der Aufdeckung von Skandalen. Das Bundesverfassungsgericht muss nun allerdings entscheiden, ob sich Journalisten dabei wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat strafbar machen.

Verhandelt wurde gestern über den Fall des konservativen Monatsmagazins Cicero, das im April 2005 ein Porträt über den inzwischen getöteten Terroristen Abu Mussab al Sarkawi druckte. Der Autor Bruno Schirra zitierte dabei ausgiebig aus einem als geheim gekennzeichneten Bericht des Bundeskriminalamtes (BKA). Die Staatsanwaltschaft eröffnete daraufhin ein Ermittlungsverfahren wegen Geheimnisverrats gegen den unbekannten Informanten, der den BKA-Bericht weitergegeben hatte. Weitere Verfahren richteten sich gegen Autor Schirra und Wolfram Weimer, den Chefredakteur von Cicero. Sie hätten durch die Veröffentlichung von Schirras Text Beihilfe zum Geheimnisverrat begangen. Gegen die anschließende Durchsuchung der Cicero-Redaktion erhob Weimer Verfassungsbeschwerde.

Sein Anwalt Alexander Ignor forderte ein „Sonderrecht für Journalisten“. Bei diesen solle die Beihilfe zum Geheimnisverrat nicht strafbar sein, weil derartige Veröffentlichungen dem Schutz der Pressefreiheit unterliegen. „Die Presse muss die Bürger auch über die Dinge informieren können, die der Staat aus politischen oder pragmatischen Gründen geheim halten will“, sagte Ignor. Journalisten sollen nur bestraft werden, wenn sie echte Staatsgeheimnisse oder persönliche Daten Dritter veröffentlichen. „Es kann nicht sein, dass ein Beamter mit dem VS-Stempel bestimmt, was die Bürger wissen dürfen“, so der Cicero-Anwalt.

„Es gibt kein Journalistenprivileg, die Pressefreiheit hat nicht absoluten Vorrang“, entgegnete für die Bundesregierung der Justiz-Staatssekretär Lutz Diwell. Wer als Journalist geheime Informationen veröffentliche, verstärke noch den Geheimnisbruch, so Diwell, und mache sich deshalb strafbar. Die Bundesregierung lehnt deshalb Gesetzentwürfe von Grünen und FDP ab, die Journalisten generell nicht mehr wegen Beihilfe am Geheimnisverrat bestrafen wollen. „Schon jetzt sind die Staatsanwaltschaften sehr zurückhaltend“, betonte Diwell, „es gab in den letzten Jahren nur eine Handvoll Ermittlungsverfahren.“

Der liberale Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem erinnerte allerdings daran, dass der Bundestag 1979 eine Strafvorschrift abgeschafft habe, die die Veröffentlichung von geheimen Schriftstücken verbot. „Damit wollte man gerade vermeiden, dass Journalisten bestraft werden können“, so Hoffmann-Riem. Er habe den Eindruck, dass der Wille des Gesetzgebers „unterlaufen“ werde, wenn jetzt gegen Journalisten wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat ermittelt wird.

Tatsächlich geht es den Strafverfolgern gar nicht so sehr um eine Bestrafung der Journalisten, sondern um die Möglichkeit, Redaktionsräume zu durchsuchen. Sie wollen dort Beweismittel finden, um den Informant im Staatsapparat zu enttarnen. Möglich sind solche Durchsuchungen aber im Prinzip nur dann, wenn die Journalisten selbst als Teilnehmer der Tat gelten. Ansonsten sind Redaktionsräume besonders geschützt. Der neue konservative Verfassungsrichter Wilhelm Schluckebier wies allerdings darauf hin, dass eine Durchsuchung der Cicero-Redaktion auch ohne strafrechtlichen Vorwurf möglich wäre – wenn nur nach dem Bericht als Tatmittel gesucht würde. Die taz hat damit Erfahrung. Schon öfter hat die Polizei in der Redaktion nach Bekennerschreiben terroristischer Gruppen gesucht.

Es wird mit einer Grundsatzentscheidung zur Pressefreiheit gerechnet, die aber erst im Frühjahr verkündet wird.