Giorgio aus Rom: Keine Lust zu jammern

Nein, verzweifelt wirkt Giorgio nicht, obwohl er zu dem Heer der eine Million Jugendlichen in Italien gehört, die erfolglos Arbeit suchen. Lederjacke, Jeans, ein kurz getrimmter Vollbart, die Sonnenbrille ins dichte schwarze Haar geschoben: Modisch ist der 21-Jährige auf der Höhe. Zum Jammern ist ihm nicht zumute, trocken sagt er, „wir sind ziemlich viele in Rom, überhaupt in ganz Italien“ – viele, die ohne Job dastehen.

Seit knapp einem Jahr ist er in dieser Situation, seit dem Abitur an einem sozialpädagogischen Gymnasium. Gleich an die Universität wollte Giorgio nicht, „erst mal muss ich meine Ideen ordnen“. Und erst mal wollte er deshalb Geld verdienen, eine Arbeit im Einzelhandel, was Prekäres auch zur Not, womöglich bei einem Callcenter, „aber es gibt einfach nichts, was soll ich sagen, die Lage ist mehr als schwierig“, sagt er.

Giorgio macht dennoch, anders als viele seiner Altersgenossen, nicht auf Politikverdrossenheit. Zur EP-Wahl geht er auf jeden Fall, „und ich wähle Renzi“. Gemeint ist Matteo Renzi, der 39-jährige, seit knapp drei Monaten amtierende Premier von der gemäßigt linken Partito Democratico (PD), der zwar gar nicht fürs EP antritt, der die Europawahl aber zu einem Votum über sich umfunktioniert hat. „Der weiß, was er will“, begeistert sich Giorgio, „und er ist entschlossen, in Italien eine Wende durchzusetzen. Vor allem aber: Er ist jung.“

Klar, Beppe Grillo mit seiner Protestliste MoVimento5Stelle (M5S) kommt bei vielen Jungwählern, vor allem bei den Arbeitslosen unter ihnen gut an, mit ihren wütenden Tönen gegen die verkommene politische Klasse Italiens genauso wie gegen Merkels Austeritätseuropa. Auch Giorgio schreibt Grillo Verdienste zu. „Er sagt immer, was er denkt, und er enthüllt viele Missstände – aber ich sehe in ihm keinen Leader, der imstande wäre, Italien zu regieren.“

Renzi will Europa einen „Kurswechsel“ verordnen – und Giorgio sieht das genauso. Beispiel Flüchtlingspolitik. „Es kann doch nicht sein, dass Italien damit völlig alleingelassen wird, hier wäre wirklich europäische Solidarität angesagt.“ Italiens Krise aber hält er für weitgehend hausgemacht; am Geschimpfe auf Deutschland will er sich nicht beteiligen. „Ich war vor ein paar Jahren in Frankfurt, da sieht man ein Land, dem es einfach besser geht, weil die Bürger anders ticken.“ Und dann malt er ein Bild von „Germania“, das eher an Singapur erinnert als an Deutschland, „in dem sich die Menschen halt wirklich an die Regeln halten, in dem es zum Beispiel keinem in den Sinn käme, auch nur eine Zigarettenkippe auf die Straße zu werfen“. Italien dagegen? „Hier denkt doch jeder nur an sich, hier werden fröhlich die Steuern hinterzogen.“

Auch an der deutschen Kanzlerin Angela Merkel hat er eigentlich nichts auszusetzen, „das ist doch schon einmal gut, dass eine Frau Regierungschefin ist, und die Merkel weiß, was sie will, sie hat die nötige Entschlossenheit“. Genau die Entschlossenheit, die Giorgio sich jetzt von Renzi wünscht, „dann geht es auch bei uns wieder aufwärts“.

MICHAEL BRAUN