„Wir leben noch alle“

WETTPROZESS Vor dem Landgericht packt ein weiterer Schieber aus. Spieler seien bisweilen von sich aus auf die Zocker zugekommen und hätten ihre Dienste angeboten, sagt er aus

AUS BOCHUM MARCUS BARK

Das erste Frühstück in Freiheit hätte einen schöneren Rahmen verdient. Tuna A. ist trotzdem glücklich. Mit einem Freund sitzt er in der Kantine des Bochumer Landgerichts und wartet auf den neunten Verhandlungstag in dem Prozess gegen ihn und drei andere Angeklagte, die vor 13 Monaten festgenommen worden waren. Sie alle kennen Marijo C., der als erster Zeuge gehört wird. C., vor 35 Jahren in Nürnberg geboren, trägt Lackschuhe und Anzug, seine Haare sind gegelt. Ein seriöser Eindruck.

In der Kaffeepause tritt Staatsanwalt Andreas Bachmann vor die Tür und lächelt zufrieden: „Marijo C. und Ante S. sind die beiden Kernpersonen, und beide sind geständig.“ Im Vergleich zu den vier Angeklagten seien sie „schon eine andere Liga. Das ist Champions League.“ Ante S., als Drahtzieher im Hoyzer-Skandal verurteilt, wird im Januar als Zeuge gehört.

Heute aber redet Marijo C., der wie Ante S. noch auf seine Anklage wartet. Auf die meisten Fragen des Richters antwortet er: „Das ist richtig.“ Dann geht er in die Details. Der Kroate, verheiratet, zwei Kinder, gibt zu, dass er seit 2006 Spiele manipuliert und auf verschobene Partien gewettet hat. Er nennt die Namen der korrupten Spieler und deren Preis: „Das waren immer zwischen 5.000 und 8.000 Euro pro Kopf.“ In einer anderen Preisklasse bewegte sich scheinbar Thomas Cichon, der schon vom ebenfalls am Dienstag aus der U-Haft entlassenen Nürettin G. schwer belastet worden war. Marijo C. bezeugt folgenden Dialog mit dem ehemaligen Profi des VfL Osnabrück. Cichon: „Ich will 100.000 Euro.“ C.: „Warum so viel, warum bist du das wert?“ Cichon: „Ich bin ein erfahrener Spieler.“ Ob jemals Bestechungsgelder geflossen sind, bleibt offen. Cichon, so C., sei jedenfalls bereit gewesen zum Betrug: „Er hat gesagt, wenn, dann müsste es ein Abendspiel sein, denn der damalige Osnabrücker Torwart Stefan Wessels hatte Probleme bei Flutlicht.“

Etwa 30 Menschen sitzen im Saal C 240 hinter der dicken Glasscheibe und hören zu. Manchmal lachen sie. Etwa, als C. sagt, dass er sich beim bosnischen Fußballverband über nicht eingehaltene Absprachen beschwert habe. Manchmal raunen die Zuhörer. Etwa, als C. sagt, dass ein Torwart aus Gossau ihm in der Halbzeit eine SMS aus der Kabine geschickt habe: „Geht okay.“

Marijo C. packt aus. Er weiß, dass ihn eine lange Haftstrafe erwartet, und nun kämpft er um „Rabatt“, wie es ein Verteidiger sagt. C. nennt Namen der von ihm bestochenen Spieler. Viele davon spielten in der zweiten Schweizer Liga. Bis zu vier Profis will C. pro Mannschaft und Spiel geschmiert haben. In der DFB-Pokalpartie zwischen dem VfB Speldorf und RW Oberhausen sollen es drei gewesen sein. „Wir haben abgesprochen, dass Speldorf mit mindestens drei Toren Unterschied verliert, besser höher.“ Zweitligist Oberhausen gewann in der Saison 09/10 mit 3:0, C. strich Gewinne ein. Manchmal wird der Zeuge grundsätzlich: „Es ist ja nicht so, dass die Manipulateure immer zu den Spielern gekommen sind. Andersherum läuft es genauso.“ So soll es auch bei Cichon und dessen schon abgestraften ehemaligen Osnabrücker Mannschaftskollegen Marcel Schuon gewesen sein: „Die Spieler sind zu den Treffen gekommen, um über Manipulationen zu sprechen.“ Marijo C. packt aus, und er streitet kaum etwas ab. Nur Gewalt, die habe er nie angewandt, und noch nicht einmal angedacht. C. blickt auf die Anklagebank und sagt: „Auch wir untereinander haben uns um ganz andere Summen als 5.000 Euro beschissen, und wir leben auch noch alle.“

Aussagen aus dem kriminellen Milieu müsse man mit Distanz betrachten. Das meinte DFB-Präsident Theo Zwanziger in der Bild-Zeitung. Er spielte dabei indes nicht auf Marijo C an. Er bezog sich auf den Bericht in der italienischen Gazzetta dello Sport, in dem aus Ermittlungsakten zitiert wird, in denen ein Exprofi damit prahlt, den Ausgang der Erstligapaarung zwischen Bochum und Cottbus (3:2) im Februar 2009 schon vor dem Abpfiff gewusst zu haben. Der DFB will das Spiel nun noch einmal ganz genau unter die Lupe nehmen.