Achtung, Grünen-Hype

OSTDEUTSCHLAND Die Grünen im Osten teilen die Euphorie ihrer Partei nicht ganz. Dort schwächeln sie nach wie vor außerhalb der Städte

In Sachsen-Anhalt wäre man schon froh, mal wieder in den Landtag einzuziehen

AUS DRESDEN MICHAEL BARTSCH

Die grüne Welle schwappt auch in die ostdeutschen Landesverbände, spürbar an Umfragewerten und Parteieintritten. Von einem „exorbitanten Zuwachs“ spricht gar die Thüringer Landtagsfraktionschefin Anja Siegesmund. Zustande kommt er allerdings auf eine für die Ostgrünen typische Weise: durch Zuspruch im akademisch geprägten Jena – und den Zuzug westdeutscher Sympathisanten. Vor einer Euphorie angesichts des Bundestrends wird daher in den ostdeutschen Ländern eher gewarnt. „Immer schön auf dem Teppich bleiben“, beschwichtigt Sachsen-Anhalts Landesvorsitzende Claudia Dalbert, die mit ihrer Partei im März nach langer Pause wieder in den Landtag einziehen möchte.

1990 waren die Ost-Grünen ohne DDR-Vorläufer aus dem Stand gestartet. Impulse erhielten sie von den unbeirrbaren Bürgerrechtlern und Demokratieromantikern von „Bündnis 90“. Ihre grüne Seite jedoch genoss beim Durchschnittsossi noch weniger Ansehen als jene Vorbereiter der friedlichen Revolution, wie das deprimierende Ergebnis der Volkskammerwahl 1990 zeigte. Lange klebte an der Partei zudem das Image der wirtschaftsfeindlichen Verhinderer.

Das hat sich schon vor dem gegenwärtigen Boom geändert. Nach Sachsen 2004 sind die Grünen seit 2009 auch wieder in den Landtagen von Brandenburg und Thüringen vertreten. Die aktuellen Berliner Rekordumfragen täuschen aber etwas, denn auf den zweiten Blick zeigt sich das alte strukturelles Gefälle. Im Westen Berlins liegen die Grünen in Umfragen derzeit mit 31 Prozent 4 Prozentpunkte vor SPD und CDU – im Ostteil der Stadt kommen sie auf 21 Prozent.

Allerdings schwinden diese historischen Unterschiede und werden durch Milieuprägungen abgelöst. Schon eine Analyse der Freien Universität Berlin nach der Wahl 2006 zeigte, dass grüne Milieus vor allem bei den Kreativen, Selbstständigen und Zuzüglern zu finden sind. Da stechen auch Oststadtteile wie Pankow oder Prenzlauer Berg heraus, in denen es einen starken Bevölkerungsaustausch gegeben hat.

Nur in Bezug auf die typisch urbanen Milieus will man im Osten Vergleiche mit Berlin zulassen. In der Dresdner Neustadt etwa, der sächsischen Grünen-Hochburg, haben seit 1990 ebenfalls vier Fünftel der Bewohner gewechselt. Landessprecher Volkmar Zschocke ist aber über diesen lokal begrenzten Zuwachs nicht einmal sonderlich glücklich. Denn die Ausdehnung außerhalb der städtischen Hochburgen ist und bleibt das Problem der Ost-Grünen. Ballungszentren wie Dresden, Leipzig oder Jena ziehen die junge Intelligenz an – die dann andernorts fehlt. Diesen Konzentrationsprozess spüren besonders grüne Kommunalpolitiker. „Wir sind noch ein gutes Stück von der Flächenwirkung entfernt“, konstatiert Claudia Dalbert für Sachsen-Anhalt. „Und wir kochen strukturell noch auf extrem kleiner Flamme.“ Gemeint sind die lediglich 550 Landesverbandsmitglieder. Die Thüringerin Anja Siegesmund gibt sich etwas optimistischer. Dank des Einzugs in den Landtag vor einem Jahr kommt die Parteiinfrastruktur mit zahlreichen Wahlkreisbüros voran. Das strahlt aus. Auch von einem spürbaren Zuzug grüner Sympathisanten außerhalb der Ballungszentren berichtet die Fraktionschefin. Handwerk und Gewerbe habe stellenweise schon „grünen Boden“.

Trotz Zuzug und Vermischung bleibt ein Klientelunterschied sichtbar: „Luxusgrüne“ aus der Hedonistenschicht findet man im Osten nur ansatzweise.