hamburger szene
: Ungeschminkte Scham

Die Menschen in der ersten Reihe werden vor der Sendung noch einmal geschminkt. Sie beugen den Kopf wie missgelaunte Kinder, denen man die Schokolade vom Kinn wischt. Natürlich wissen sie, dass die Puderei eine Art Auszeichnung ist, denn ihre fleckenlosen Köpfe sind es, die die Kamera filmen wird, wenn die NDR-Geburtstagsmatinee erst einmal im Gange ist.

Rund um die Wichtigen huschen die Beflissenen, die ihren NDR-Ausweis um den Hals tragen wie einen Orden. Eine von ihnen, eine blonde Frau in blauem Hosenanzug, kommt herüber zur zweiten Reihe, wo man als Mensch ohne Funktion sitzt und fragt, ob es einem etwas ausmachen würde, sich woanders hinzusetzen. Sie sagt es so, wie der Zahnarzt sagen würde: „Ich glaube, es wäre gut, den Backenzahn zu ziehen“, also mit einer Unvermeidlichkeit, die durch den Konjunktiv nur ein wenig bekleidet wird.

Es ist sonderbar, man kann theoretisch über Fernseh-Kompatibilität nachdenken, über Uniformität und auch über Scham und ihre Angemessenheit. Aber es nutzt überhaupt nichts. Man errötet trotzdem im Innern. Vielleicht rafft man sich auf und sagt: „Warum sollte ich mir einen anderen Platz suchen?“ Dann sagt die NDR-Dame erst mal nichts, aber dann fällt ihr ein, dass sie den Kameramann fragen könnte, ob man ihn in seiner Bewegungsfreiheit störe. „Nein“, sagt der Kameramann und das ist nett von ihm. Aber es hilft nur ein bisschen.

FRIEDERIKE GRÄFF