„Getreu dem Motto: Sterben tun nur die anderen“

Ist die journalistische Kriegsberichterstattung zur Tatort-Alternative verkommen? Das Symposion „Gegenbilder“ der Muthesius Kunsthochschule in Kiel fragt nach abweichenden Strategien der Kriegsdarstellung. Ein Gespräch mit der Intendantin, Petra-Maria Meyer

taz: Frau Meyer, gibt es die „abweichenden Strategien der Kriegsdarstellung“, wie es im Titel Ihres Symposions heißt, bereits im abendlichen Fernsehen?

Petra-Maria Meyer: Das Fernsehen verbreitet vorwiegend die immer gleichen Bilder, die heute ins kollektive Gedächtnis einer „Weltgesellschaft“ eingehen. Wir alle kennen den Atompilz und verbinden ihn mit Hiroshima, wir alle kennen die Bilder vom 11 September. Das Fernsehen hätte aber prinzipiell die Möglichkeit, auf künstlerische Strategien zurück zu greifen, die in den 60er und 70er Jahren vom Fernsehen auch genutzt wurden. Heute findet man Gegenbilder noch bei Alexander Kluge.

Wohin schauen Sie, um die anderen Bilder vom Krieg zu finden?

Durchaus in die Künste, aber im nächsten Schritt auch im journalistischen Bereich – deswegen ist das Symposion auch interdisziplinär angelegt.

Was für Künstler sind das?

Das sind zum Beispiel die Arbeiten der Künstlerin Katharina Sieverding, ich werde selber die akustischen Arbeiten des englischen Künstlers Barry Bermange und den spanischen Maler Juan Genovés vorstellen , viele Arbeiten von Hans Haacke oder die tolle Arbeit von Edward Kienholz, „The portable war memorial“. Aber es gibt auch bemerkenswerte Filme wie “Hiroshima mon amour“ von Alain Resnais oder Andrej Tarkowskijs „Iwans Kindheit“ , die Kriegsschrecken ganz anders versinnlichen und darüber, dass sie beim Zuschauer eigene erinnerungen wecken, Zugang zu Geschehnissen bieten, die sich nicht darstellen lassen.

Bei den Medienwissenschaftlern kann man nachlesen, dass die so genannte Kriegsnarration zu den am stärksten standardisierten Erzählformen gehört. Was sind denn die Standards des konventionellen Kriegsberichts?

Wo immer mit einer Story gearbeitet wird, die zur Identifikation einläd: Die Filme, die zur Heroenverklärung benutzt werden, die zeitweise den “Anwerbefilmen“ fürs Militär verdächtig ähnlich sind. Der heldenhafte Mut im Kampf und der Triumph des Sieges verhelfen dazu, den Krieg zu schönen, verdecken jedoch die Schrecken, die damit verbunden sind und die Ohnmacht der Besiegten.

Und worin setzen sich Tarkowskij oder Resnais davon ab?

Der Rezipient bekommt viel weniger abgenommen. Der Bereich des Sichtbaren umfaßt nicht alles, was mitgeteilt wird. Vieles muß der Zuschauer ergänzen und somit seine eigenen Erfahrungen und Erinnerungen bemühen. Bei den meisten narrativen Kriegsfilmen lehnt man sich zurück und genießt die häufig sehr gute Gestaltung und technische Opulenz. Ich will insofern diese Filme gar nicht schlecht machen. Aber wenn es um Bewusstwerdungsprozesse von Kriegsschrecken geht, leisten sie wenig. Denn man muss sich als Zuschauer nicht zu ihnen verhalten, man muss keine eigene Position einnehmen.

Die meisten Leute wollen das vielleicht gar nicht.

Genau. Es ist bequemer, die Nachrichten zu sehen und getreu dem Motto von Marcel Duchamp zu denken: „Und sterben tun nur die anderen“.

Ist die journalistische Kriegsberichterstattung also zur Tatort-Alternative verkommen?

Die Bilder sind sehr verwandt geworden, sogar bis hin zu den Horror- und Splatterfilmen. Spätestens seit dem 11. September haben sich fiktionale und quasi-dokumentarische Ebenen vermischt.

Eigentlich könnte man annehmen, dass die Tradition der Gegenbilder stärker wäre. Schließlich hat schon Euripides in seinem Stück „Die Trojanerinnen“ mit Hekabe, der Frau des geschlagenen Priamos, eine Besiegte in den Mittelpunkt seines Stücks gestellt.

Das Thema hat uns natürlich immer beschäftigt. Was sich ändert, ist das Medium und die Art der Gegenbilder, die mit dem gewohnten Bericht brechen. Insofern findet man historisch betrachtet auch zu jeder Zeit andere Gegenbilder. In Zeiten allgegenwärtiger Schockbilder können diese nicht mehr schocken. Nach dem ersten Weltkrieg hat das Photobuch „Krieg dem Kriege“ von Ernst Friedrich, 1924, zuvor von der Verbreitung ausgeschlossene Bilder aus militärischen und medizinischen Archiven veröffentlicht. Das waren Schockbilder, die durchaus als Gegenbilder zu bezeichnen sind.

INTERVIEW: FRIEDERIKE GRÄFF

Das Symposion „Gegenbilder. Zu abweichenden Strategien der Kriegsdarstellung“ findet vom 24.-26.11. in der Kunsthalle zu Kiel statt. Weitere Informationen unter: www.muthesius.de/forum