Denen in der Grauzone helfen

Wenn Menschen ohne Aufenthaltsstatus einen Arzt brauchen, riskieren sie die Abschiebung. Vereinigungen wie die Göttinger „Medizinische Flüchtlingshilfe“ organisieren Versorgung für die „Illegalen“

Sie haben Zahnschmerzen oder Hautausschlag, sie bekommen Kinder oder Fieber, sie leiden an Krebs und oft auch an den Folgen erlittener Folter. Doch einfach zum Arzt gehen können sie nicht. Denn Flüchtlinge ohne Aufenthaltsstatus, so genannte „Illegale“, haben keine Chipkarte, keine Krankenversicherung und meistens auch kein Geld für eine medizinische Behandlung.

Tshiana Nguya und ihre Familie hielten sich aus Angst vor Abschiebung monatelang in Deutschland versteckt. Als die Kongolesin erneut schwanger wurde, ging sie doch zur Ausländerbehörde und beantragte einen Krankenschein. Stattdessen erhielt sie einen Haftbefehl. In der 17. Woche schwanger, wurde Tshiana Nguya mit ihren beiden Kindern aus Niedersachsen abgeschoben. Bei der Geburt starben die Mutter und das Baby – nach Angaben von Unterstützern infolge von Vergewaltigungen und Misshandlungen, denen die Frau im Gefängnis in Kinshasa ausgesetzt war.

Ausländer ohne Papiere sind auf besondere Hilfe angewiesen, um an notwendige ärztliche Versorgung und Medikamente zu gelangen. In Göttingen unterstützt der Verein „Medizinische Flüchtlingshilfe“ die „Illegalen“. „Im Schnitt kommen zweimal in der Woche Flüchtlinge ohne Papiere und Krankenversicherung zu uns, die zum Arzt müssen“, erzählt Melanie Weyerstall. Sie schätzt, dass insgesamt 500 bis 1.000 Flüchtlinge unregistriert in der Universitätsstadt leben. Bundesweit sind es mehrere hunderttausend.

Die Medizinische Flüchtlingshilfe hat Kontakt zu etwa zehn Göttinger Ärztinnen und Ärzten, die regelmäßig „Illegale“ behandeln – meistens kostenlos und ohne nach Adresse und Papieren zu fragen. „Weitere Mediziner helfen in Einzelfällen“, sagt Weyerstall. Auch einige Krankenhäuser seien in das Netzwerk eingebunden, „die übernehmen bei Operationen oder Geburten zumindest einen Teil der Kosten“.

In den vergangenen Jahren sind in mehreren Großstädten solche Netzwerke entstanden – Hebammen, Ärzte und Krankenhäuser versorgen jedes Jahr insgesamt mehrere tausend Menschen ohne Papiere und verhelfen hunderten Kindern zur Geburt. Die Medizinische Beratungsstelle für Flüchtlinge und Migranten in Hamburg bietet einmal wöchentlich eine Sprechstunde in einem Klassenzimmer an. Jedes Jahr vermittelt sie zwischen 400 und 650 Arzttermine in die rund 80 Praxen, die mit der Initiative zusammenarbeiten. Diese Zahlen spiegelten aber nicht den tatsächlichen Bedarf wider, sagen die Mitarbeiter. So führten groß angelegte Kontrollen in Hamburg phasenweise dazu, dass Menschen ohne Papiere sich nicht aus dem Haus trauten.

Nicht immer können Flüchtlinge, die in die Beratungsstellen kommen, angemessen behandelt werden. „Viele sind schwer traumatisiert und brauchen deshalb eigentlich eine Psychotherapie“, nennt Melanie Weyerstall ein Beispiel. Solche Therapien seien aber nicht zu finanzieren, selbst wenn Psychologen oder Fachärzte sie zu reduzierten Honoraren anbieten. Das gelte für langwierige Zahnbehandlungen oder Zahnersatz.

Manchmal sagen Mediziner auch aus anderen Gründen ab. Sie hätten Angst, sich an möglicherweise unrechtmäßigen Aktionen zu beteiligen und dabei selbst strafbar zu machen, weiß der Göttinger Migrationsforscher Holk Stobbe. Zu Anklagen oder auch nur Ermittlungen sei es bei medizinischer Hilfeleistung für „Illegale“ bislang jedoch nirgends gekommen.

Einige deutsche Kommunen haben das Problem inzwischen auch offiziell erkannt. In Göttingen diskutieren Parteien, Verwaltungen und Initiativen an Runden Tischen, wie die Gesundheitsversorgung für „Illegale“ aus der Grauzone herausgeholt werden kann. Auch von höchster Stelle wurde das Engagement für Menschen ohne Papiere schon gewürdigt. Die Leiterin der „Malteser Migranten Medizin“ in Berlin, Adelheid Franz, erhielt Anfang Oktober von Bundespräsident Horst Köhler den Verdienstorden. REIMAR PAUL