Kein Glück beim Lotto

Zwischen die Fronten von Bundeskartellamt und Ländern sind die staatlichen Glücksspielunternehmen geraten. Während Lotto Niedersachsen aus Angst vor Strafe online bleibt, schließen die anderen Nordstaaten ihre Portale aus demselben Grund

von Benno Schirrmeister

Lotto Niedersachsen ist noch online. Das könnte man für einen Akt der Rebellion halten. Schließlich schert das Glücksspielunternehmen damit aus der Riege der staatlichen Lottogesellschaften aus – der andere Abweichler ist Nordrhein-Westfalen. Aber der Eindruck täuscht. Zwar bestätigt Niedersachsenlotto-Sprecher Herbert John: „Wir haben noch offen.“ „Nur, wie lange noch“, fügt er gleich hinzu, „ist auch offen.“ Das Ganze sei „ein Konflikt zwischen Bund und Ländern“. Man selber befinde sich „dazwischen“ – und sei außerstande, eine Lösung herbeizuführen.

So beschreibt man eher einen Betriebsunfall, als einen Akt des Widerstands. Und tatsächlich bereitet das Innenministerium eine Verbots-Anweisung vor. Geplant sei, der Landes-Firma „insgesamt Glücksspielangebote im Internet zu untersagen“, so ein Sprecher. „Das Anhörungsverfahren ist beendet“ die Stellungnahme der Lotto-Gesellschaft liege vor, werde geprüft, und irgendwann „vor Jahresende“ werde es eine Entscheidung geben.

In Mecklenburg-Vorpommern war die Aufsichtsbehörde schneller. Da ist das Verbot schon seit dem 7. November in Kraft, und die staatlichen Glücksspielunternehmen in Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein haben ihre elektronischen Formulare vorauseilend blockiert – um Strafzahlungen in Millionenhöhe abzuwenden.

Dieselbe Wirkung hofft Niedersachsen-Lotto mit der gegenteiligen Maßnahme – dem Offenhalten des Angebots – zu erzielen: Schließlich hat das Bundeskartellamt befunden, dass die „in einer Konzession erhaltene Begrenzung der Internet-Tätigkeit“ auf Spieler „mit Wohnsitz in dem Bundesland, in dem die Lotto-Gesellschaft ihren Sitz hat“, die regionale Marktverteilung noch verstärke. Und diese verstoße auch ganz allgemein gegen EU-Recht.

Das war im August gewesen. Die Folge hätte eine Öffnung der Internet-Angebote über die Ländergrenzen hinaus sein können. Nur hätte diese möglicherweise einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts widersprochen. Das hatte Ende März festgestellt, dass „die Erweiterung des Angebots“ den staatlich-lizenzierten Sportwetten-Unternehmen momentan „untersagt“ sei. Dieses Expansions-Verbot gilt, bis eine gesetzliche Neuregelung für den Glücksspielmarkt gefunden ist.

Die Staatskanzlei-Chefs der Länder hatten sich deshalb darauf verständigt, die Internet-Glücksspiele vorläufig ganz abzuschalten. Was laut Kartellamt aber ein neuerlicher Verstoß gegen Wettbewerbsrecht war – und Anfang der Woche zu einer Abmahnung aus Bonn geführt hatte. „Wir haben nicht die Schließung der Internet-Lotterien verlangt“, stellt eine Sprecherin des Kartellamts klar. „Die Lage“, fasst Lotto-Sprecher John zusammen, „ist verworren.“

Sie ist es auch deshalb, weil momentan ein neuer Lotto-Staatsvertrag ausgehandelt wird. Zwar hatte Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) keinen Zweifel daran gelassen, dass er ihn unterstützen will. Und in der Staatskanzlei ging man gestern tapfer „davon aus, dass der Fahrplan eingehalten wird“ – sprich: die Konferenz der Länder-Chefs sagt am 13. Dezember Ja.

Aber bislang herrscht noch nicht einmal im Kabinett Einigkeit: Wirtschaftsminister Walter Hirche (FDP) kündigte auf der jüngsten Sitzung Widerstand an, Finanzminister Hartmut Möllring (CDU) bezifferte die Risiken des Abkommens: 42 Millionen Euro insgesamt könne es das Land kosten, acht Millionen allein durch das vorgesehene Komplettverbot von Online-Zockerei. Schließlich hat man gerade erst die Casinos verkauft – die Lizenz fürs Web-Roulette inklusive.

Die Kieler Landesregierung hält sich bedeckt: „Wir nehmen uns die Zeit“, heißt es aus der Staatskanzlei dort, schließlich seien „viele rechtliche Fragen zu bedenken“.

Vor allem gibt es an der Förde noch erheblich stärkeren Gegenwind gegen das Vertragswerk: So hatte der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Hans-Jörn Arp, das Festhalten am Monopol als „Irrsinn“ bezeichnet, in den sich „die Länder verrannt“ hätten: „Den geplanten Staatsvertrag würde uns jedes Gericht um die Ohren hauen – und das mit Recht.“

Eine Ansicht, die darauf hinaus läuft, die Sache auszusitzen: Entsprechend empfahl gestern der Finanzausschuss des Landtags, einem Lotto-Staatsvertrag erst zuzustimmen, wenn der Europäische Gerichtshof seine Entscheidung in Sachen Glücksspielmonopol verkündet habe.

Der berät darüber seit 2004. Im vergangenen Mai hatte der Generalanwalt seine Schlussanträge vorgestellt – die sich als fulminantes Plädoyer für die Liberalisierung des Glücksspielmarktes entpuppten. Seither aber schweigen die Richter in Luxemburg. „Es ist“, so ein Sprecher des Gerichts gestern auf Nachfrage, „weder ein Termin bekannt, noch kann gesagt werden, wann mit einem Termin zu rechnen sein wird.“