Geißlein und Reißwölfin

Auch nach dem Aus für die fiktive Mordbeichte von O. J. Simpson bleibt Judith Regan die wichtigste US-Verlegerin

Manchmal wirkt sie wie eine „Jungfrau von Orléans mit den Eigenschaften der Margret Thatcher“: Judith Regan, die „einflussreichste Verlegerin der USA“. In dieser Funktion nun hat die ehemalige Klatschreporterin des National Enquirer geschafft, was sich die Linken der Welt schon immer gewünscht hatten – nämlich dass sich ihr Chef, der reaktionäre Medientycoon Rupert Murdoch, tatsächlich einmal für eine seiner Unternehmungen öffentlich entschuldigen muss. „Murdoch & Co. haben die Wut der amerikanische Öffentlichkeit zu spüren bekommen“, jubelte die New York Daily News, eine Konkurrentin von Murdochs New York Post.

Regan hatte es fertig gebracht, den wegen Mordes an seiner Frau Nicole und deren Geliebten angeklagten US- Footballstar O. J. Simpson zu einem Buch zu überreden, in dem er erklärt, wie er beide umgebracht hätte, wenn er sie denn umgebracht hätte. Zur Promotion von „If I did it“ wurde ein zweistündiges Interview aufgezeichnet, das der Sender Fox kommende Woche zeigen wollte – wäre der von den Familienangehörigen der Opfer entfachte Sturm der Empörung nicht so hurrikanartig geraten, dass Sender wie Buchverlag – die beide zum Murdoch-Imperium NewsCorp. gehören – zurückruderten: Murdoch bedauerte, dass das Simpson-Projekt den Hinterbliebenen der Mordopfer Leid zugefügt habe, nannte das Projekt „schlecht beraten“ und setzte es am Dienstag kurzerhand ab, bereits gedruckte Exemplare wurden eingestampft.

Dennoch dürfte dieser merkwürdige Alleingang Judith Regans, die innerhalb des Buchverlags HarperCollins ihr eigenes Buchlabel ReganBooks führt, ihrer Reputation als Grande Dame des Popgeschmacks keinen Abbruch tun. Warum auch? Regan, seit Jahren bewundert und verteufelt, sorgte mit ihrem raubtierähnlichen Gespür für den nächsten Buchhit, für viel bare Münze. Ihr Business soll allein für ein Viertel des Gewinns beim gigantischen Mutterverlag gesorgt haben.

Inzwischen hat Regan sich damit rechtfertigt, sie sei selbst einmal Opfer häuslicher Gewalt geworden und habe Simpson „aus der Reserve locken“ und zu einem „Geständnis“ vor laufender Kamera bringen wollen.

Regan mag eine schlechte Lügnerin sein, ihr Geschäftssinn macht sie für Murdoch unersetzlich: Gestern tauchten vier Exemplare des Buchs bei eBay auf, die dem Reißwolf offenbar entronnen sind. Ein Anbieter beteuert: „Ich habe ein echtes Exemplar des Buchs erhalten. Ich habe es nicht gelesen, will es auch nicht lesen. Aber ich will es verkaufen.“ Das Höchstgebot stand zuletzt bei 2.555 Dollar.

ADRIENNE WOLTERSDORF, FRA