HARTZ-IV-DEBATTE IST DURCH GERICHTSURTEIL NICHT ZU BEFRIEDEN
: Das Problem sind zu niedrige Löhne

Schon eigenartig. Ursprünglich sollte Hartz IV eine verbindliche Messlatte sein, eine Grundsicherung eben. Doch gerade damit entwickelte sich das Arbeitslosengeld II zu einer der umstrittensten Sozialleistungen überhaupt. Den einen ist sie zu niedrig, den anderen zu hoch. Das Bundessozialgericht in Kassel urteilte gestern, dass der Regelsatz von Hartz IV nicht verfassungswidrig zu niedrig ist.

Doch damit werden die Gerechtigkeitsdebatten nicht enden. Denn in einer Gesellschaft, deren Jobmarkt sich beständig ändert, wird ein festgelegtes staatlich bezahltes Existenzminimum zum Stein des Anstoßes, an dem sich die Vorstellungen von einem guten Leben, von Solidarität und Eigenverantwortung immer wieder neu brechen.

Dass das Arbeitslosengeld II nur wenig soziokulturelle Teilnahme ermöglicht, steht dabei schon länger nicht mehr im Vordergrund. Viel heftiger wird diskutiert, ob Hartz IV nicht doch zu hoch sei im Vergleich zu niedrig bezahlten Vollzeitjobs. In der Tat steht sich ein Familienvater, der in Vollzeit in einem Lager arbeitet, nur um einige hundert Euro besser als ein Erwerbsloser, der mit seiner Familie vom Arbeitslosengeld II lebt. Beispiele wie dieses werden an vielen Kneipentischen diskutiert. Der Vergleich mit den Schlechtbezahlten ist explosiv, weil damit ausgerechnet den Niedrigverdienern, die mit verschleißenden Vollzeitjobs nur 900 Euro netto nach Hause bringen, gesagt wird, dass sie die Dummen sind gegenüber jenen, die „auf Stütze“ gehen.

Doch die Versuchsanordnung dieses Vergleichs ist perfide, denn damit werden Schwache gegen Schwache ausgespielt. Es darf nicht so weit kommen, dass Niedrigverdiener auf Hartz-IV-Empfänger einschlagen. Denn man kann die Gesetzeslage auch andersherum interpretieren: Wenn Hartz IV das gesetzlich festgelegte Existenzminimum ist und die Entgelte im Vergleich dazu zu niedrig, dann haben wir ein Problem mit den Löhnen, besonders im Dienstleistungsproletariat. Wer indirekt Hartz-IV-Empfänger dafür büßen lassen will, ist eindeutig auf dem falschen Weg.

BARBARA DRIBBUSCH