Bombenterror mitten im Pulverfass

NIGERIA In der ohnehin angespannten Millionenstadt Jos richten Autobomben ein Blutbad an

Arbeitslose Jugendliche werden für Geld und Drogen rekrutiert, um zu kämpfen

AUS ABUJA KATRIN GÄNSLER

Nach Kano nun also Jos. Zwei Autobomben haben in der Stadt in Zentralnigeria am Dienstagnachmittag offenbar mindestens 118 Menschen in den Tod gerissen, wie die staatliche Agentur für Katastrophenmanagement (Nema) am Morgen danach bestätigt hat. Zahlreiche weitere Leichen wurden am Mittwochmorgen noch unter den Trümmern vermutet.

Die fast zeitgleichen Explosionen am Terminus Market, der im Stadtzentrum von Jos liegt, waren offenbar kilometerweit zu hören. Augenzeugen zufolge explodierte erst eine Autobombe in einem Fiat, den sein Fahrer mitten auf einer belebten Straße im Markt abgestellt hatte, um ein Verkehrschaos zu verursachen. Als nach der Explosion Schaulustige zusammenströmten, explodierte zwanzig Meter entfernt ein Toyota-Lieferwagen. Zahlreiche Autos brannten mit ihren Insassen komplett aus, und es dauerte zwanzig Minuten, bis erste Rettungskräfte eintrafen, berichten nigerianische Zeitungen.

Die beiden Anschläge in Jos gehören zu den blutigsten, die es je in Nigeria gegeben hat. Während das Land gestern über diese Nachricht diskutierte, wurden weitere Überfälle gemeldet. In der Ortschaft Shawa im Nordosten Nigerias seien am Montag 10 Menschen umgebracht worden, berichteten Anwohner am Mittwoch. Am Dienstagabend hätten die Angreifer dann das Nachbardorf Alagarno überfallen und 20 weitere Menschen getötet sowie Häuser angezündet. Viele Überlebende suchten Schutz im nahe gelegenen Chibok, wo die islamistische Terrorgruppe Boko Haram Mitte April mehr als 200 Schülerinnen verschleppt hatte.

Erst am Montag war in Kano, Millionenstadt und Wirtschaftszentrum des Nordens, im Stadtteil Sabon Gari eine Bombe explodiert. Sabon Gari („Neustadt“) ist die Ausgehmeile in der durch und durch muslimisch geprägten Stadt – ein christliches Viertel mit vielen Kneipen, die versteckt im Hinterzimmer Bier und Schnaps anbieten.

Bisher hat sich niemand zu den Anschlägen bekannt. Es gilt als wahrscheinlich, dass die islamistische Gruppierung Boko Haram Drahtzieher ist und den Druck auf die Regierung erhöhen will. Vor einer Woche hatte deren Chef, Abubakar Shekau, per Videobotschaft gefordert, die mehr als 200 entführten Schülerinnen aus Chibok gegen alle inhaftierten Terroristen auszutauschen. Die nigerianische Regierung hatte das abgelehnt. Während eines Sondergipfels in Paris am Wochenende sagten die Teilnehmer stattdessen Boko Haram den Krieg an.

Dabei waren die Städte Kano und Jos in den vergangenen Monaten weitestgehend in Ruhe gelassen worden, obwohl es auch dort schon schwere Anschläge gegeben hatte. In Kano starben im Januar 2012 fast 200 Menschen bei zeitgleichen Angriffen. Es war ein Schock für ganz Nigeria. Ein gutes Jahr später wurde der Busbahnhof zum Ziel.

Auch Jos war vermehrt ins Visier der Terroristen gerückt. So hatte es im März 2012 einen Anschlag auf eine katholische Kirche gegeben. Jos sowie der gesamte Bundesstaat Plateau – dessen Slogan heißt „Home of Peace and Tourism“ – gelten als besonders fragil, weil hier besonders viele Volks- und Religionsgruppen zusammenleben. Seit mehr als zehn Jahren kommt es regelmäßig zu blutigen Ausschreitungen, die nach Religionskrieg aussehen. Arbeitslose Jugendliche werden für wenig Geld und ein paar Drogen rekrutiert, um im Namen der Religion gegen Andersgläubige zu kämpfen.

Tatsächlich geht es jedoch um die Frage, wer Land und Landrechte besitzt. Zugezogene Angehörige des muslimischen Haussa-Volkes gelten oft noch immer als Siedler ohne Rechte, auch wenn sie seit mehr als 100 Jahren in Plateau leben. Ein Anschlag von Boko Haram in Jos in dieser Situation ist wie ein brennendes Streichholz, das in Benzin geworfen wird.