Der Trend geht zum Zweitjob

Deutschland befindet sich im Aufschwung, die Zahl der arbeitssuchend registrierten Menschen sinkt, die Zahl der Selbstständigen steigt. Martha Müller ist eine derer, die positiv in die Statistik eingeschlagen sind. Sie erzählt, wie das geht

Von Martha Müller*

Ich habe ein ordentliches Wirtschaftsdiplom, vielfältige Berufserfahrung, habe ein prachtvolles Kind großgezogen, also meinen Beitrag zum Generationenvertrag geleistet – und bin jetzt Mitte 50, also für die meisten Arbeitgeber viel zu teuer. Aber ich gehöre zu den glücklichen „Senioren“ auf dem Arbeitsmarkt, die für ein ganzes Jahr eine Eingliederungs-Zuschuss-Stelle ergattert haben. Ein ganzes Jahr! Dieser Eingliederungszuschuss für Arbeitnehmer über 50 in Höhe der Hälfte des Brutto-Lohnes soll sicherstellen, dass auch Senioren wie ich noch eine Chance am Arbeitsmarkt haben. Das klingt schön. Aber ehrlich: Die Chance, dass aus meinem Job eine längere Arbeit wird, ist gleich null. Aus meiner Rente wird nun wieder nichts, da denke ich lieber überhaupt nicht dran.

Körperlich und geistig bin ich noch „fit“ und werde sogar häufig zehn Jahre jünger geschätzt! All das hilft mir aber nicht darüber hinweg, dass von den bewilligten 1.500 Euro (Arbeitgeberbrutto) monatlich nur 900 Euro bleiben, von denen ich nicht leben kann. Ich arbeite im Kulturbereich und da ist das Geld ja bekanntlich besonders knapp, weshalb mein Arbeitgeber mir nur eine 20-Stunden-Stelle finanzieren kann. Meine Mietkosten für die Zweieinhalbzimmerwohnung in Bremen fressen aber schon 450 Euro (all inclusive, zugegebenermaßen). Es bleiben also lächerliche 450 Euro für alles andere: Telefon, Essen, Versicherungen, Kleidung, Schuhe, Vergnügungen, und Haustiere hab ich natürlich auch, weil ich allein lebe und mich manchmal einsam fühle.

Außerdem bin ich unbelehrbare Raucherin und trinke auch gern mal ein gutes Glas Wein. Man will ja auch mal entspannt genießen und überhaupt: Stressabbau im Fitnessstudio ist ja noch teurer! Rein rechnerisch bedeutet das ein Ausgabenlimit von 15 Euro pro Tag. Es muss also ein Zweitjob her! Ist ja auch keine große Sache bei einer 20-Stunden-Stelle, auch wenn ich in letzter Zeit häufig 30 Stunden und mehr gearbeitet habe. Der Job verlangte das so, und man will sich ja engagiert zeigen.

Glücklicherweise hat mir eine Freundin die Samstagsschicht in ihrem neu eröffneten Restaurant übertragen, und da arbeite ich nun für 6,50 Euro die Stunde. Dummerweise kann sie mich nicht anstellen – sie müsse dann 25 Prozent auf meinen Lohn drauflegen, sagt sie, und für ein junges Unternehmen sei das eine zusätzliche Belastung, die sie noch nicht tragen könne.

Ich solle mich also selbstständig machen und ein Gewerbe anmelden, damit ich ihr Rechnungen schreiben kann. Ich beantrage also einen Gewerbeschein für 15 Euro und bin glücklich, wie schnell und unkompliziert das geht. Ist ja auch gut für die Statistik. Schon wieder hat sich jemand selbstständig gemacht! Also da soll noch mal jemand von wirtschaftlicher Stagnation reden! Aber meine Euphorie war etwas voreilig, denn der Sachbearbeiter erklärt mir, dass ich erst nach Erhalt der Steuernummer Rechnungen schreiben darf. Beim Finanzamt teilt man mir mit, dass es mindestens zwei Monate dauert, bis ich diese existentielle Nummer bekomme. Man habe einfach zu wenig Personal!

Dass diese Tatsache für Jungunternehmer existenzgefährdend ist, sieht er auch, aber ändern kann er das leider nicht. Jetzt habe ich Angst um meinen Job und glaube nicht, dass wir durch frisierte Statistik den ersehnten Aufschwung erwarten dürfen. Aber das wird den Senator für Wirtschaft und Finanzen nicht interessieren.

(*) Name der Redaktion bekannt