„Sie kommen schon mit Haus auf die Welt“

Der Nationalpark Harz kennt die meisten seiner Tiere gut. Nur die Schnecken nicht. Jetzt erforscht der NABU-Mitarbeiter Walter Wimmer gemeinsam mit einem Kollegen Schließmund-, Masken- und Punktschnecke. Ein Gespräch über eine Leidenschaft, die ein ganzes Leben währt

taz: Herr Wimmer, haben Sie kurz Zeit für ein Gespräch über Schnecken?

Walter Wimmer: Für Schnecken habe ich immer Zeit.

Umso ungerechter müssen Sie es finden, dass gerade über die Schnecken – anders als viele andere Tiere – im Nationalpark Harz bislang nicht geforscht wurde.

Sie wurden ja nicht vergessen. Es ist nur eine der Tiergruppen, die aktuell nicht so sehr im Fokus stehen, obwohl sie ja durch ihre bodengebundene Lebensweise, ihre geringe Mobilität auch im Naturschutz und als Zeigerarten sehr wertvoll sind.

Schlicht gesagt würde man denken, dass die Schnecken, langsam wie sie sind, schwierig zu übersehen sind.

Ja, aber sie sind natürlich nicht in Augenhöhe unterwegs. Viele Arten sind in der Laubstreu aktiv oder kriechen an Bäumen hoch und was dazu kommt: Jede Menge Arten sind sehr klein. Die Punktschnecke, unsere kleinste Art, hat ausgewachsen nur einen Gehäusedurchmesser von einem Millimeter.

Wie macht man sich denn auf die Suche nach den Schnecken?

Erstmal überlegt man sich, welche Strukturen man untersuchen möchte. Bei uns stand erst einmal der Buchenwald im Vordergrund und auch etwas feuchtere Waldtypen mit Erlen. Dann kann man reine Bodenproben nehmen und sie im Labor aussuchen, was in der Regel dazu führt, dass die Tiere es nicht überleben, man aber sehr exakte Daten erhält. Wir sind erstmal mit der reinen Suchmethode im Gelände gestartet.

Und dort?

Man nimmt sich Totholz vor, man untersucht die Laubstreu, feuchte, trockenere Stellen. Und so kann man, wenn man weiß, was wo zu erwarten ist, jede Menge Arten finden. Und der Vorteil bei den Tieren, die man im Gelände bestimmt, ist: Man muss nicht unnötig viel Material mitnehmen und bringt deshalb nicht massenhaft Schnecken um. Sondern man sieht: „Aha, diese Art“, und lässt sie dann – jetzt hätte ich beinahe gesagt laufen – wieder kriechen.

Hatten Sie Funde, die Sie überrascht haben?

Wirklich überrascht, können wir nicht sagen. Wir hatten einige Arten, die, in Häkchen gesprochen, etwas Besseres sind. Das ist zum einen die Maskenschnecke, die in Bergwälder gehört, und eine Schließmundschneckenart, die mittlere Schließmundschnecke, die dort auch in ansehnlicher Stückzahl vorkommt. Das ist eine Art, die in letzter Zeit in Niedersachsen zurückgegangen ist, unter anderem wegen der intensiveren Bewirtschaftung von Wäldern. Es ist etwas Schönes, dass man im Nationalpark solche Arten gezielt entwickeln kann, indem man den Totholz-Anteil hoch lässt und damit entsprechenden Lebensraum schafft für Schnecken – und alle anderen Tiere gleich mit.

Das heißt, der Nationalpark nimmt den Bestand nicht nur auf, sondern versucht ihn zu erhöhen?

Es geht nicht nur darum, ein paar Schnecken zu hätscheln, sondern diese Arten sind ganz tolle Zeigerarten. Denn dort, wo bestimmte Schneckenarten ihre Lebensbedingungen erfüllt finden, können ganz viele andere Tiere und Pflanzen überleben.

Mir war die Schnecke bisher vor allem als Liebling der Naturpädagogik bekannt.

So bin auch ich auf die Schnecke gekommen, weil ich ganz viel in der Umweltbildung arbeite und Schnecken da in allen Altersgruppen ganz hervorragend sind. Sie kommen nahezu überall vor, man kann sie sammeln oder den Klassiker machen, das Schneckenrennen mit der Weinbergschnecke. Spannend ist natürlich auch, dass die Gehäuseschnecken schon mit Haus auf die Welt kommen. Es ist ein ganz feiner, kleiner Bereich, der mit der Schnecke mitwächst.

Erschöpft sich irgendwann das Interesse, weil man die Arten irgendwann …

Nein, da kann ich ganz klar Nein sagen. Es gibt weltweit 100.000 Arten, und allein die paar Hundert Arten, die bei uns vorkommen, reichen aus, um sich ein Leben lang damit zu beschäftigen. Und es gibt relativ wenig Leute, die das tun. Dabei gibt es so viel zu tun: Gerade jetzt bin ich auf dem Weg nach Mecklenburg-Vorpommern, um an der Vorstellung des Molluskenatlas teilzunehmen. Das haben wir für Niedersachsen noch vor uns.

INTERVIEW: FRIEDERIKE GRÄFF