Die Bildermacher der Bewegung

taz-Serie „Solidarische Ökonomie“ (Teil 6 und Schluss): Für das „Umbruch-Bildarchiv“ ist der politische Nutzen veröffentlichter Fotos wichtiger als die wirtschaftliche Verwertung. Doch der technologische Wandel bringt neue Herausforderungen

von FELIX LEE

An Kunden mangelt es dem Umbruch-Bildarchiv nicht. Das Land Berlin wendet sich ans Archiv, eine Ortsgruppe von Pro Asyl in Essen und die Essl-Stiftung in Wien haben Bilder abgenommen, und unter so manch einem taz-Foto steht in kleiner Schrift der Name „Umbruch“. Dennoch reicht das Geld von vorn bis hinten nicht. „Wir haben ein politisches Interesse, unsere Bilder zu verbreiten“, sagt Leh, der nur mit dem Spitznamen in der Zeitung stehen will. Und wer nicht zahlen kann, zahlt eben nicht.

Leh ist 51 und einer von fünf Mitarbeitern, die regelmäßig beim Umbruch-Bildarchiv dabei sind. Für viel mehr als die fünf Arbeitsplätze reicht das kleine Bürodoppelzimmer in der Fabriketage in Kreuzberg ohnehin nicht. Eine Regalwand mit Bildbänden und Ordnern schmückt die eine Wand. An der anderen lehnen zwei große Archivschränke, in denen Bilder aus 20 Jahren linker Bewegungsgeschichte auf ihre Digitalisierung warten. „Wir könnten einen zusätzlichen Mitarbeiter gebrauchen, der sich nur um die Konservierung dieser Bilder kümmert“, erzählt Leh. Ein Jammer, dass es dafür kein Geld gebe, sagt er und zieht ein DIN-A4-großes Schwarzweißbild heraus, das die Bolle-Ruine vom 1. Mai 1987 zeigt.

Das Umbruch-Bildarchiv wurde 1988 gegründet. „Damals haben Linke viel geschrieben“, erzählt Leh, „dabei jedoch wenig auf die Gestaltung geachtet“. Das sollte sich ändern. Linke FotografInnen stellen seitdem ihre Bilder dem Archiv zur Verfügung. Zum Kundenstamm zählen zumeist andere linke Initiativen oder Verlage, die ihre Pamphlete und Broschüren mit den Bildern gestalten. Über 30.000 Fotos sind seitdem zusammengekommen, erzählt Hermann (47), der seit Anfang an dabei ist. Es sind Bilder zu zumeist sozialen, kulturellen und politischen Themen. Der Bedarf war damals groß.

Das war auch noch so, als Leh 1992 seine Lehre bei dem Kreuzberger Bilder-Archiv begann. In den Anfangsjahren finanzierte sich das linke Projekt vor allem über das Rastern der Bilder für den Druck. Die Fotos wurden damals den zumeist linken Initiativen in der Stadt kostenlos zur Verfügung gestellt. „Große Gewinne haben wir nie gemacht“, so Leh. Immerhin gab es einige Jahre, in denen es ein paar Rücklagen gab. Der große Einschnitt kam Ende der 90er-Jahre. „Plötzlich hatten alle ihre eigenen Scanner“, erzählt Hermann.

Seit vier Jahren ist Umbruch kein Unternehmen mehr, sondern gemeinnützig. „Seit zwei Jahren auch mit Wohlwollen des Finanzamts“, erzählt Leh. Im Kapitalismus sei man verpflichtet, Gewinne zu erzielen. Diesem Druck konnten und wollten sie nicht standhalten. Die Betriebskosten werden nun über Spenden finanziert. Einige linke Gruppen zahlen für die Bilder einen geringen Beitrag zu den Archivkosten, und manchmal gibt es auch reguläre Aufträge.

Zwei Stellen laufen übers Arbeitsamt. Leh selbst hält sich mit Taxifahren über Wasser. Er betreut vor allem die Vereinsarbeit. Und auch für die anderen hat sich die Arbeit verändert. Nicht mehr der Leuchttisch fürs „Schnippellayout“ ist der Hauptarbeitsplatz, sondern der Rechner mit modernen Schnittprogrammen. Umbruch leistet sich seit 1999 einen eigenen Internetauftritt. Seit einiger Zeit gehört auch die Videokamera zum festen Bestandteil. MedienaktivistInnen aus aller Welt stellen ihre Fotos und Videos von aktuellen Ereignissen auf die Webseite, die sich unter www.umbruch-bildarchiv.de jeder herunterladen kann. Neuerdings bieten die Mitarbeiter auch Schulungen an. Jugendliche lernen, mit der Kamera und dem Schnittprogramm umzugehen. Die Filme werden dann auf Veranstaltungen gezeigt.

Aber auch selbst politisch aktiv sind die Umbruch-AkitivistInnen geblieben. Seit 1999 betreuen sie das Internet-Videofenster „No Deportation“, in dem Flüchtlinge über ihre Fluchtgründe und ihre aktuelle Situation berichten können – ein inzwischen vielgenutztes Medium für zahlreiche Antirassismus- und Flüchtlingsinitiativen in Europa.

Trotz aller Veränderungen – viele Ansprüche, die das Projekt sich anfangs selbst auferlegte, sind erhalten geblieben. Nach wie vor versteht sich Umbruch als Gegenöffentlichkeitsprojekt. Kollektive Strukturen bedeuten: keinen Chef. Eigenständige Produktionsmittel heißt: Aufträge werden nicht an andere Unternehmen vergeben, die nur am Markt orientiert wirtschaften. Für Hermann hat solidarisches Wirtschaften auch damit zu tun, die Projektarbeit an den individuellen Fähigkeiten auszurichten. „Niemand soll sich outgesourct fühlen, niemand ist hier überflüssig.“ Was das für die konkrete Arbeit heißt? „Ganz einfach“, sagt Hermann. „Wir sagen den Leuten: Lasst eure Fotos nicht verstauben, bringt sie zu uns.“