AUSGEWILDERT
: Die Fette Henne

Neulich habe ich mir vorgestellt, ich würde mich begraben lassen

Es ist eine hübsche Vorstellung, sich auf die eine oder andere Art unsterblich zu machen. Wenige hundert Meter von meiner Wohnung entfernt, vor dem spanischen Café Tagomago, in dem ich oft mit meinem Laptop sitze und arbeite, hat der Chef im vergangenen Jahr zwei ehemals verwilderte Rabatten vor seinem Laden begrünt – mit Rhododendron und anderen Büschen und Blumen.

Ich bin ein großer Fan der Fetten Henne, dieser immergrünen und anspruchslosen Staude mit den dicken Blättern, die im Herbst violett blüht und von denen Dutzende Exemplare meinen Balkon bevölkern. Vor einigen Wochen habe ich vier kleine Fette Hennen mitgebracht und sie in die Rabatten gepflanzt. Ich habe sie, wenn man so will, ausgewildert.

Wenn ich nun an der Fensterfront des Cafés sitze, kann ich den Fetten Hennen beim Wachsen zuschauen, so schnell gedeihen die Pflanzen. Der Bund deutscher Staudengärtner wusste schon, warum er die Fette Henne zur „Staude des Jahres 2011“ gekürt hat. Weder Trockenheit, Nässe oder Kälte können der dickfleischigen und an Mangel gewöhnten Pflanze etwas anhaben. Ihr größter Feind in der freien Natur sind nur die vielen Hunde beziehungsweise deren Halter, die dem Treiben ihrer geliebten Vierbeiner tatenlos zusehen. Würde ich jedes Mal hinauslaufen, wenn wieder ein Hund auf eine der Fetten Hennen gekackt oder gepinkelt hat, ich würde nicht mehr zum Arbeiten kommen.

Je größer die Pflanzen werden, umso mehr habe ich trotzdem das Gefühl, mich in der Hauptstadt zu verewigen. Neulich habe ich mir vorgestellt, ich würde mich in einer Blumenrabatte begraben lassen, unter meinen geliebten Fetten Hennen. Meinem toten Körper macht eine Überdüngung durch Hundeurin sicher nicht viel aus. Meinen Fetten Hennen aber schon.

BARBARA BOLLWAHN