Todfeinde der Staatsmacht

Die Zeugen Jehovas lehnten den Nationalsozialismus ab. Dafür wurden sie von den Nazis brutal verfolgt. Eine Ausstellung im Kölner EL-DE-Haus dokumentiert viele Einzelschicksale aus der Domstadt

Insgesamt geriet nahezu die Hälfte aller Zeugen Jehovas in Deutschland nach 1933 in NS-Gefangenschaft

Von ARNO KLEINEBECKEL

Sie verweigerten den deutschen Gruß, mieden den Beitritt zu NS-Organisationen, schickten ihre Kinder nicht zur Hitler-Jugend: Rund 25.000 Zeugen Jehovas – damals „Ernste Bibelforscher“ – gab es 1933 in Deutschland. Während das Leben im Land gleichgeschaltet wurde, blieben sie den propagandistischen Volksabstimmungen fern, setzten der dröhnenden Propaganda vom „Endsieg“ die gewaltlose Vision eines friedlichen „Königreiches“ entgegen.

Jetzt widmet Köln der Gruppierung eine Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum (EL-DE-Haus) mit dem Titel: „Standhaft trotz Verfolgung – Jehovas Zeugen unter dem NS-Regime“. Acht Jahre forschte eine Arbeitsgruppe um Mike Lorsbach in Archiven und befragte Hinterbliebene. Das Ergebnis belegt zahlreiche Einzelschicksale für Köln. Die Ausstellung gibt der Rolle der Kölner Zeugen in den Jahren 1933 bis ‘45 Namen und Gesichter.

Da ist zum Beispiel Elly Fey, Jahrgang 1899, gebürtig in Köln-Nippes. Seit 1932 setzte sie sich aktiv für ihre Glaubensansichten ein, bekannte sich zur Internationalen Bibelforscher-Vereinigung (IBV). Im Dezember 1935 organisierte sie die Verbreitung von 1.500 Flugblättern mit der Aufschrift „Resolution“. Was darin zu lesen war, kam einer Provokation gleich: Nach dem Aufruf an „alle gutgesinnten Menschen“, die Verfolgung von Jehovas Zeugen zur Kenntnis zu nehmen, gipfelte der Resolutionstext in einer weltanschaulichen Kampfansage an Staat und Kirche. Hitler erklärte die Bibelforscher wutentbrannt zu Todfeinden der Staatsmacht.

Die erste Verhaftungswelle traf auch Richard Blume, Organisator des Kölner Untergrundwerks. Nach seiner Inhaftnahme verwaltete Elly Fey im Untergrund die Bestände mit Schriften zur Fortführung der Mission. Was „undeutscher Geist“ war, bestimmte seit dem Frühjahr 1933 die „Reichschrifttumsstelle“. Ein geheimes Bibelforscher-Literaturdepot befand sich in Dieringhausen bei Gummersbach. 1937, vermutlich während einer Briefkastenaktion, geriet die Aktivistin Fey ins Visier der staatlichen Ermittler. Am 5. April 1938 titelte der Westdeutsche Beobachter in der Ausgabe Nr. 170: „Zwei sonderbare Heilige vor dem Sondergericht. – ‚Ernste‘ Bibelforscher verbohrt und verlogen“. Die Schlagzeile galt auch der Kölnerin und war Teil der öffentlichen Bloßstellung. Mehr und mehr Zeugen gerieten in die Fänge der NS-Justiz. Elly Fey verbrachte zwei Jahre im berüchtigten Kölner Gefängnis „Klingelpütz“, gefolgt von Internierung im KZ Ravensbrück, Häftlingsnummer 2183. Ende April 1945 erlebte Elly Fey ihre Befreiung: Sie hatte Haft, den Terror der Verhöre und Zwangsarbeit überlebt, half nach Kriegsende beim Wiederaufbau der Kölner Gemeinden.

Insgesamt geriet fast die Hälfte aller Zeugen Jehovas in Deutschland nach 1933 in NS-Gefangenschaft. Viele Namenlose erduldeten Geldstrafen, verloren ihre Wohnungen oder Renten, Jüngere hatten unter Diskriminierung in der Schule zu leiden. Über 4.200 wurden in Konzentrationslager verschleppt, nahezu 2.000 von ihnen starben im Stammlager, in Außenlagern oder in Zuchthäusern. Auch Richard Blume kam nicht mehr zurück. Für Köln wird die Zahl der Bibelforscher für 1933 mit 130 angegeben; davon wurden 56 inhaftiert, für zehn bedeutete dies den Tod. Mehr als jede andere Häftlingsgruppe, auch das zeigen die Akten, zahlten die Zeugen Blutzoll für ihre Weigerung, für Hitler in den Krieg zu ziehen.

EL-DE-Haus, bis 25.2.2007, Infos: 0221-22126332