Ambitioniert und ohne Muff

THEATERNACHWUCHS Deutlich gestrafft worden ist dieses Jahr das Programm des Festivals „Kaltstart“. An mangelnder Resonanz liegt das jedoch nicht. Sogar ganz im Gegenteil

VON ROBERT MATTHIES

„Schluss mit der Lethargie und der Angst.“ Ein Befreiungsschlag für eine paralysierte Szene war die erste Ausgabe des Theaternachwuchs-Festivals „Kaltstart“ vor acht Jahren. Weit haben die InitiatorInnen Florian Hänsel, Eva Baumeister, Falk Hocquél und Gero Vierhuff die Fenster und Türen des Kulturhauses 73 in der Sternschanze aufgerissen, um den Theater-Muff heraus- und frische Schauspielluft und ein unverbrauchtes Publikum hineinzuholen. Wenn die Leute nicht mehr ins Theater kommen, dann müsse das Theater dorthin gehen, wo die Leute sind, so die Idee.

Eine Plattform sollte das ambitionierte Festival schaffen, auf der sich freie und schon etablierte BühnenkünstlerInnen ohne Angst, Zwänge und Konkurrenz um Auszeichnungen präsentieren und ausprobieren, über Form und Inhalt streiten, Erfahrungen austauschen und vernetzen können. Ein Konzept, das weit über die Stadtgrenzen hinaus dankbar angenommen wurde. Zwei Jahre später war Kaltstart schon das größte Theaternachwuchsfestival des Landes, 2011 haben schließlich mehr als 100 Veranstaltungen an 25 unterschiedlichen Spielorten rund 5.000 ZuschauerInnen angelockt.

Doch seit zwei Jahren schrumpft das Festival wieder, nur noch ein Spielort und rund 30 Veranstaltungen sind es dieses Jahr. Nicht weil die Resonanz nachgelassen hätte, im Gegenteil. „Es war schon letztes Jahr so, dass wir viele Bewerbungen hatten, dann muss man Kriterien ansetzen, die darüber entscheiden, was hier gezeigt wird und was nicht“, erklärt Anne Schneider, seit letztem Jahr eine der künstlerischen Leiterinnen der Sparte „Kaltstart pro“, die Produktionen aus Stadt- und Staatstheatern präsentiert. „Hinzu kommt, dass wir im Laufe des Festivals gemerkt haben, dass es schade ist, dass die Sparten so wenig miteinander verwoben sind“, sagt Schneider.

Entstanden ist daraus die Idee, spartenübergreifende Themen zu suchen, die das Programm stimmiger machen. Identität ist eines davon. Vom Kampf gegen Konventionen und für mehr Eigenverantwortung erzählt etwa die Theaterakademie-Abschlussproduktion „Rose – Eine Fremde“ nach Gerhart Hauptmann, von „Kevin allein im Universum“ eine gemeinsame Produktion der Berliner Volksbühne und der Zürcher Hochschule der Künste. Und auch „Imitations of Life“ der Gruppe Analog fragt nach dem „Ich-Kontinuum“ zwischen Schauspielerin und Rolle. Mit Krisen und dem Umgang mit Sprache auf der Bühne setzen sich die zwei weiteren „thematischen Häfen“ auseinander.

Zugleich soll Kaltstart weiterhin all das abbilden, „was der Nachwuchs an Facettenreichtum mitbringt“, sagt Schneider. „Wir wollen die TheatermacherInnen von morgen zeigen, die Ästhetiken und Arbeitsweisen, die wir als richtungsweisend empfunden haben.“ Ein Trend sei derzeit, die Möglichkeiten von Theater auszuloten. „Wir haben eine Produktion eingeladen, die damit spielt, wie viel man von den Schauspielern sieht. Zum Teil hört man nur die Stimmen und sieht die Füße oder die Füße erzählen die Szene und man sieht nicht mehr als die Bewegungen“, sagt Schneider.

Der große Unterschied zu anderen Festivals seiner Art sei aber neben dem Anspruch, nicht in Sparten zu denken, die einmalige Atmosphäre, die während der zehn Tage entsteht. „Es lebt sehr stark von der Offenheit vor Ort und dem Austauschcharakter, es werden viele spannende Gespräche geführt“, ist Schneider begeistert. Und meint damit nicht nur Gespräche unter Profis, aufgeschlossen sei auch das Publikum. Gerade weil es nicht selten wirklich unverbraucht ist. „Es gelingt uns während des Festivals immer wieder, draußen auf der Straße Leute anzusprechen, die man abends wirklich in den Vorstellungen sieht, die dann begeistert sind und an mehreren Tagen erscheinen.“ Angst und Lethargie, davon ist beim Kaltstart-Festival auf und vor der Bühne nichts mehr zu spüren.

■ Do, 29. 5. bis Sa, 7. 6., Kulturhaus 73, Infos und Programm: www.kaltstart-hamburg.de