Spargelstechen auf Westniveau

ARBEITSMARKT Vom gesetzlichen Mindestlohn werden auch ausländische Saisonarbeiter in der Landwirtschaft profitieren. Der Schaden für die Betriebe wird sich vermutlich in Grenzen halten

VON GERNOT KNÖDLER

Am Kino-Index gemessen, sind 8,50 Euro kein schlechtes Geld. Auf Basis des geplanten gesetzlichen Mindestlohns ließen sich künftig mit einer Stunde Spargelstechen zwei Stunden Kino erkaufen. Ein Fünftel der Beschäftigten in Deutschland würde von der Regelung profitieren – vorausgesetzt ihr Job fällt dadurch nicht weg.

Ob das geschehen wird, lässt sich kaum vorhersagen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sprach deshalb Ende 2013 von einem „Feldexperiment, das mit Bedacht angegangen werden sollte“. Die schwarz-rote Bundesregierung will ihren Gesetzentwurf am 4. Juli vom Bundestag verabschieden lassen.

Der Mindestlohn ist aus Sicht der Bundesregierung nötig geworden, weil immer weniger Menschen in Betrieben arbeiten, für die ein von Gewerkschaften und Arbeitgebern ausgehandelter Flächentarif gilt. Der Mindestlohn soll ab 2015 gelten. Branchen, die bereits tarifvertraglich einen bundesweit geltenden Mindestlohn vereinbart haben, können sich bis 2017 Zeit lassen. Die Regelung werde 3,7 Millionen ArbeitnehmerInnen zugute kommen, sagt Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD).

Die Höhe ist dabei nicht fix: Von 2018 an soll eine Kommission aus VertreterInnen der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite sie jedes Jahr anpassen. Auch wenn die Beschäftigten nach Stückzahlen bezahlt werden, muss unterem Strich ein Stundenlohn von 8,50 Euro für sie herausspringen. Ausgenommen sind Langzeitarbeitslose in den ersten sechs Monaten ihrer Beschäftigung, außerdem Jugendliche ohne Berufsausbildung sowie ein großer Teil der Praktikanten.

Ob der Mindestlohn tatsächlich bezahlt wird, prüft der Zoll, der ja heute schon auf Baustellen kontrolliert, ob dort womöglich schwarz gearbeitet wird. Über eine Hotline soll man einen entsprechenden Verdacht melden können. Wer erwischt wird, muss ein Bußgeld bezahlen.

Mit dem angepeilten Mindestlohn begibt sich Deutschland ins europäische Mittelfeld. Nach der Mindestlohndatenbank des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) klaffen die Mindestlöhne in Europa weit auseinander: von 1,04 Euro in Bulgarien über 2,31 Euro in Polen, 3,91 Euro in Spanien, 7,43 in Großbritannien, 9,53 Euro in Frankreich bis zu 11,10 Euro in Luxemburg. De facto bezahlt werden in Deutschland derzeit um die sieben Euro brutto. Bis Ende 2017 sollte dieser Betrag auf 8,50 Euro angehoben werden – jetzt kommt er also ein Jahr früher.

Doch auch ohne Mindestlohn ist der Anreiz für Osteuropäer, sich hierzulande als Saisonarbeiter etwa in der Landwirtschaft zu verdingen, groß. Dass die Leute in besser bezahlende westeuropäische Länder zögen, ist aus Sicht der Arbeitgeber derzeit kein Problem. „Es geht nicht darum, dass es schwierig ist, Arbeitskräfte zu bekommen“, sagt Ulrich Goullon, Referent beim Arbeitgeberverband der Land- und Forstwirtschaft Schleswig-Holstein. Schwierig sei es allerdings, „einen so großen Lohnsprung im Markt umzusetzen“.

In der Landwirtschaft wird sich der Mindestlohn vor allem dort auswirken, wo viele Arbeitskräfte gebraucht werden, etwa beim Erdbeer-, Spargel- und Gurkenanbau. Wer hier arbeiten will, braucht keine besondere Qualifikation und findet sich deshalb am unteren Ende der Lohnskala. Trotzdem verursacht das Personal nach einer Statistik des Bundeslandwirtschaftsministeriums beim Obst- und Gartenbau ein Fünftel bis ein Viertel der Kosten. Beim Ackerbau sind es nur sechs Prozent.

Ludwig Theuvsen vom Göttinger Lehrstuhl für die Betriebswirtschaftslehre des Agribusiness sieht zwei Gefahren: Heimische Ware könnte durch Einfuhren verdrängt werden, schließlich sei der Importanteil schon einmal höher gewesen. Zudem könnten die Verbraucher auf weniger kostspieliges Gemüse ausweichen oder sich weniger Erdbeeren gönnen. Goullon ist aus Landwirtsperspektive daher „ängstlich gespannt“, wie die Betriebe mit dem Mindestlohn zurechtkommen werden.

Das Szenario, die Produktion ins Ausland zu verlegen, hält Kätchen Nowak, Referentin bei der Industriegewerkschaft Bauen Agrar Umwelt (IG Bau), gerade beim Spargel für unrealistisch. Das Gemüse bringe erst nach ein paar Jahren Anbau den höchsten Ertrag, die Bauern würden darum an ihren Feldern festhalten. „Die werden das nicht unterpflügen“, prophezeit sie.

Die Arbeitgeberseite habe sich zehn Jahre lang einem branchenspezifischen Mindestlohn versperrt. Dabei müssten gerade die schlecht bezahlten Saisonkräfte schwer körperlich arbeiten. „Man kann nicht ein freies Europa begrüßen und Arbeitnehmer unterschiedlich behandeln“, sagt Nowak.

Arbeitnehmer, die feststellen, dass ihnen der Tariflohn vorenthalten wird, können sich schon heute an die Gewerkschaft, und falls das nichts nützt, an den Zoll wenden. Nach Wahrnehmung Nowaks handelt es sich dabei nicht um ein Massenphänomen.