PETER UNFRIED über CHARTS
: Die Grünen dürfen nicht mehr schweigen

Die Charts: heute mit Schwarz-Grün, Katrin Müller-Hohenstein, Axel Schulz und Fidel Castro

Klimakatastrophe: Beim Versuch einer Antwort auf die Frage nach dem Sinn der jüngsten schwarz-grünen Diskussionen würde einen ja tatsächlich interessieren, was Joschka Fischer eigentlich dazu denkt. Dabei könnte es helfen, sich anzuschauen, was Reinhard Bütikofer macht. Vielleicht ist es ja ähnlich wie bei bestimmten FilmkritikerInnen. Man schaut, welche Filme sie verdammen, weil damit klar ist, dass man sich die unbedingt ansehen muss.

Also: Der Grünen-Parteivorsitzender Bütikofer hält es „nicht für unsere strategische Aufgabe, darüber zu theoretisieren, mit wem man gegebenenfalls mathematische Mehrheiten zustande brächte“. Andererseits sieht er seine Partei in den Ländern auf dem Weg zurück in die Regierungen. Heißt: Das Ziel ist da, die Strategie lautet, dass über die Frage des Erreichens geschwiegen werden soll. Hm.

Fakt ist, dass die Grünen sowohl von der CDU als auch der FDP einiges trennt. Und möglicherweise noch viel Entscheidenderes von der Kohlepartei SPD. Die wichtigste Frage einer künftigen Regierung aus Sicht der Gesellschaft (oder zumindest meiner) ist nicht das Festhalten am Atomausstieg, sondern das Festhalten am Atomausstieg als Teil einer neuen, ernsthaften Energie- und Klimaschutzpolitik. Wenn man dazu die Grünen brauchen kann, prima. Wenn man dazu die Grünen erst gar nicht braucht, auch recht. Aber wer braucht die Grünen in einer künftigen Regierung, die das Thema nicht zur Nummer-1-Sache macht? Die Bundesdelegiertenkonferenz wird am kommenden Wochenende Aufschluss darüber geben, ob und wie die Grünen den Kampf gegen die Klimakatastrophe in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen. Nur eine klare Positionierung kann den derzeitigen Zustand des machtpolitisch nachvollziehbaren, aber inhaltlich unverbindlichen gegenseitigen Streichelns von Grün und Schwarz voranbringen. Dass Frau Künast keine Angst mehr vor der CDU hat? Das sollte Grundvoraussetzung einer vernünftigen parlamentarischen Arbeit sein.

Schluss mit dem Quatsch. Die Grünen dürfen nicht schweigen. Sie müssen Positionen besetzen, und dann wird man sehen, ob Schwarz-Grün über das Feuilletonisieren von den alten und den neuen Bürgern und den urbanen Milieus und so weiter hinaus weist. Vor allem muss eine Partei den anderen Parteien zeigen, dass sie daran glaubt, mit Ökologie Wahlen gewinnen zu können. Und dann muss die Gesellschaft zeigen, dass man mit Ökologie Wahlen gewinnt. Alles andere ist Zeitvergeudung. Und wir haben keine Zeit mehr.

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Fernsehen: Kein domestizierter Mann darf einer Frau vorwerfen, dass sie es fachlich nicht drauf hat. Schon gar nicht, wenn sie’s nicht drauf hat. Schon gar nicht, wenn der Gegenstand nicht bloß Politik, sondern Fußball ist. Aber sei’s drum: Katrin Müller-Hohenstein als Moderatorin des ZDF-Sportstudios, das geht gar nicht. Wenn es nur das Fachliche wäre. Wie sie Samstagabend im Gespräch mit dem Schalker Fußballtrainer Mirko Slomka – da er auch auf ihre Nachfragen nach der Verarbeitung der öffentlichen Kritik bemerkenswert professionell freundlich blieb – insinuierte, dass er den Druck wohl zu Hause an seiner Frau auslasse? Würg. Da gilt, was der Exboxer Graciano Rocky Rocchigiani am selben Abend über Axel Schulz’ Comeback-Versuch sagte: „Das war so schlecht, dass man die Augen schließen musste.“ Bei Schulz, immerhin, warfen die Verantwortlichen das Handtuch, bevor Schlimmeres passierte.

Die Charts im November:

Buch: Norberto Fuentes – Die Autobiografie des Fidel Castro. Während Castro von jungen ausländischen Journalistinnen interviewt wird, lässt er von seinem Geheimdienst klären, ob sie Waffen in ihrem Hotelzimmer haben und/oder Geschlechtskrankheiten. Sehr erhellend.

Song: (Wir sind alle in der) Ikea-Falle – Bernd Begemann. Stimmt, aber nicht mehr lange!

Fußball: Simon Jentzsch, der Bundesligatorhüter mit den wenigsten Gegentoren. Derzeit sehr präsent, sehr mutig und sehr körperlich.

Fotohinweis: PETER UNFRIED CHARTS Fragen zur Fußballfrau? kolumne@taz.de Morgen: Arno Frank über GESCHÖPFE