Was wusste der Siemens-Vorstand?

In der Korruptionsaffäre gerät die Konzernspitze unter Verdacht. Inhaftierter Mitarbeiter legt Geständnis ab und belastet offenbar einen Exvorstand schwer. Staatsanwaltschaft will angeblich Vorstandschef Kleinfeld als Zeugen vernehmen

VON NICOLA LIEBERT

In der Korruptionsaffäre des Münchner Weltkonzerns Siemens hat einer der inhaftierten Mitarbeiter offenbar ein umfassendes Geständnis abgelegt. Darin belastet er nach Informationen der Süddeutschen Zeitung den früheren Vorstand schwer. Der habe von den schwarzen Kassen gewusst. Die Staatsanwaltschaft ermittelt derzeit gegen ein Dutzend ehemalige und gegenwärtige Mitarbeiter. Sechs davon sitzen wegen des Verdachts der Untreue in Haft.

Schon 2004 will der Mitarbeiter den für Kommunikationstechnologie zuständigen Exvorstand Thomas Ganswindt über Schmiergeldzahlungen informiert haben – darunter zig Millionen, die nach Griechenland, Nigeria und in die ehemalige Sowjetunion geflossen seien. Er habe eine Reduzierung dieser „Provisionen“ vorgeschlagen, um strafrechtliche Konsequenzen zu vermeiden. Der Manager soll während des Gesprächs in Geheimdienstmanier eine Störanlage angeschaltet haben, die ein Mithören verhindern sollte. Ganswindt, der im September auf eigenen Wunsch bei Siemens ausschied und jetzt Vorstandschef des Luxemburger Unternehmens Elster ist, sagte dazu nur, dass er mit den Behörden kooperieren werde.

Ein anderer Untersuchungshäftling outete sich nach Angaben der SZ als Geldbote und Verwalter schwarzer Kassen. 200 Millionen Euro sollen in der Telekommunikationssparte in schwarze Kassen in Österreich, Liechtenstein und der Schweiz geleitet worden sein. Jetzt müssen die Ermittler herausfinden, ob sich die U-Häftlinge durch ihre Aussagen lediglich selbst entlasten wollen. Oder ob es sich tatsächlich um ein regelmäßiges und von höchsten Stellen im Konzern gebilligtes Vorgehen handelt, um Aufträge zu sichern.

Als wahres „Korruptionsbiotop“ beschreibt die Zeitung den Konzern. So habe sich einer der Inhaftierten wegen der Schmiergeldzahlungen an die Compliance-Abteilung gewandt, die für die Einhaltung der konzerninternen Regeln zuständig ist. Dort sei ihm eingeschärft worden, er müsse ja nicht alles sagen, was er wisse, sollten sich Ermittler für den Fall interessieren.

Die Aufmerksamkeit der Staatsanwälte richtet sich jetzt offenbar auch auf Konzernchef Klaus Kleinfeld. Dieser soll als Zeuge vernommen werden, meldet die Nachrichtenagentur Reuters unter Bezug auf eine mit der Situation vertrauten Person. Die Ermittler hatten zuvor bereits die Vorstandsbüros durchsucht. Kleinfeld war im Jahr 2004, vor Ganswindt, selbst Vorstand für Kommunikationstechnologie gewesen.

Vorstandschef Kleinfeld, der bereits wegen der erst an BenQ ausgegliederten und dann Pleite gegangenen Mobilfunksparte unter Druck steht, kündigte in einem gemeinsamen Schreiben mit Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer ein konsequentes Vorgehen gegen Korruption im Siemens-Konzern an: „Kein Mitarbeiter, kein Manager kann sich darauf berufen, er habe nicht gewusst, was in unserem Haus in Sachen Verhaltensethik erwartet wird.“ Eine seltene Einigkeit: Das Verhältnis von Pierer/Kleinfeld gilt als schwierig, wenn nicht zerrüttet.