Wolfsburger Wille

FRAUEN Mit grandiosen Nehmerqualitäten dreht der VfL das Spiel gegen Tyresö FF und gewinnt erneut die Champions League

AUS LISSABON JOHANNES KOPP

Nicht einen klitzekleinen Moment der Ausgelassenheit gönnte sich Alexandra Popp. Mit Wucht hatte die Wolfsburger Stürmerin den Ball ins Tor geköpft, ihn aber sofort wieder zum Mittelkreis getragen, als gelte es, die letzten 43 Sekunden zu nutzen. In Wirklichkeit waren nach ihrem Anschlusstreffer zum 1:2 aber noch 43 Minuten zu spielen.

Es war eine dieser Szenen, die Ralf Kellermann, den Trainer vom VfL Wolfsburg, danach von der „überragenden Körpersprache“ in der zweiten Halbzeit schwärmen ließ. „Ich will nicht überheblich klingen“, sagte er, „aber ich habe mir auch nach unserem 2:3-Rückstand nicht wirklich Sorgen gemacht.“ Seine Botschaft war klar: Der zweite Champions-League-Triumph hintereinander war das Ergebnis des unbedingten Willens eines Teams, das sich durch keinen Rückschlag unterkriegen ließ.

Martina Müller besiegelte an diesem denkwürdigen Abend von Lissabon nach schöner Vorarbeit von Nadine Keßler in der 80. Minute den 4:3-Erfolg gegen den schwedischen Klub Tyresö FF. Die Nehmerqualitäten des VfL Wolfsburg überstrahlten an diesem Abend alles. Mit einer spielerischen Leichtigkeit hatte Tyresö dank seiner individuellen Klasse – insbesondere Weltfußballerin Marta brillierte – immer wieder die Schwachstellen der deutschen Defensive aufgezeigt und mit einem Doppelschlag vor der Pause zum 2:0 scheinbar ausgeknockt. Doch nachdem Wolfsburg in der zweiten Hälfte mit der großen Gegenoffensive antwortete, herrschte die pure Anarchie auf dem Platz. Am Ende hätte sich auch niemand über ein 7:6 gewundert.

Lena Goeßling sah durch den Verlauf des Finales die ganze Spielzeit gespiegelt. „Wir haben nie aufgegeben. Und das haben wir schon über die ganze Saison gezeigt.“ Vor zwei Monaten noch sah es so aus, als ob der Triple-Sieger diese Spielzeit leer ausgehen könnte. Nun hat man nach dem Triumph von Lissabon auch im Kampf um die deutsche Meisterschaft noch die Möglichkeit, den Titel zu verteidigen.

In Lissabon konnte man den Eindruck gewinnen, dass gerade die offensichtlichen Schwächen des VfL den Sieg um so wertvoller machten. Der völlig euphorische VfL-Geschäftsführer Thomas Röttgermann, der den Wolfsburger Triumphzug zur Siegerehrung auf der Haupttribüne anführte und als Erster seine Medaille von Michel Platini umgehängt bekam, erklärte denn auch: „Wir haben noch erhebliches Potenzial, uns weiterzuentwickeln.“ Der VfL Wolfsburg befindet sich durchaus in einer komfortablen Ausgangslage: Welcher Verein im Höhenrausch hat schon noch Luft nach oben?

Röttgermann hat dabei vor allem den Marketingeffekt im Auge: „Frauenfußball rechnet sich bei uns. Die Aufmerksamkeit und Sympathie, die wir erzeugen, sind deutlich höher als der Aufwand, den wir dafür betrieben haben. Es ist deshalb geradezu logisch, dass wir das weiterentwickeln wollen.“

In der portugiesischen Hauptstadt wurden aber auch die Grenzen des europäischen Frauenfußballs deutlich. Zwar sprachen Röttgermann, Kellermann sowie der DFB-Präsident Wolfgang Niersbach an diesem Abend von einer „Werbung für den Frauenfußball“, aber bei genauem Hinsehen wird deutlich: Die Entwicklung stagniert. Im kleinen Estádio do Restelo von Lissabon traute sich die Uefa nicht einmal, die Besucherzahl bekannt zu geben. Trotz Lockangeboten mit Kombitickets mögen es maximal 7.000 Zuschauer gewesen sein. Niersbach wollte indes statt der harten Fakten die weichen Faktoren geltend machen: „Ich fand den Rahmen hier gar nicht so schlecht. Die Atmosphäre war freundlich.“ Und er machte mit sorgenvoller Miene darauf aufmerksam, dass im nächsten Jahr das Champions-League-Frauenfinale im großen Berliner Olympiastadion stattfinden wird. Wenn da keine deutsche Mannschaft aufläuft, müsste man erst einmal sehen, wie man das Interesse der Zuschauer wecken kann.

Die Chance auf eine erneute deutsche Beteiligung im Finale ist groß. Seit 2008 stand immer ein deutsches Team im Endspiel. Und da sich der VfL Wolfsburg mit seinem Sieg gegen Tyresö bereits für die nächste Saison der Königsklasse qualifiziert hat, können theoretisch mit Frankfurt und Potsdam nächste Saison drei Vertreter aus der Bundesliga dabei sein. In Lissabon kam natürlich unweigerlich die Frage auf, ob der VfL in Berlin den Titel zum dritten Mal nacheinander holen könne. „Warum nicht?“, fragte Spielführerin Nadine Keßler keck zurück. Und auch Trainer Ralf Kellermann mühte sich nicht um Zurückhaltung: „Unser Ziel ist das Finale 2015 in Berlin.“