ROLLENSPIEL: Eier im Glas
Der Schriftsteller hatte sich Eier im Glas bestellt. Ein warmer Mundraum öffnete sich. Vor der Tür des Cafés tauchte eine Nonne auf. Neben ihr ein Rudel Rottweiler. Die Hunde bellten, fletschten die Zähne, blieben aber auf Abstand. Der warme Mundraum öffnete sich ein zweites Mal. Dilara schaute sich die Poren des Mannes an. Der Schriftsteller ließ es sich schmecken. In den Essenspausen redete er. Ihm gegenüber saß also eine jüngere Frau, eine Journalistin, die Dilara irgendwas hieß. Und er konnte nicht umhin, sie dauernd anzustarren. Und gleichzeitig neue Absätze zu formulieren. Früher habe ich eine Droge gebraucht, heute brauche ich eine Zigarette. Einen Anblick. Eine Zuversicht. Etwas Hall auf der Stimme. Er lächelte süßlich. Wie so oft in seinem Leben fühlte er sich dumm und flüchtete in Worte, in einen möglichen Text, in irgendeine Erzählung; allerdings mit dem Gefühl von Halbherzigkeit, von mangelnder Rechtfertigung.
Die schlauen Fragen, die aus ihrem Mund fielen, standen konträr zu seiner Realität, die anders funktionierte. Schlaue Fragen, dumme Antworten. Hinter der jungen Frau, an einem anderen Tisch, saß ein Mann, der wie ein Bekannter aussah. Dunkles Hemd, Ansatz zur Glatze, Brille. Vor dem Schaufenster, da, wo eben noch die Nonne in Rudelbegleitung war, stand jetzt ein Gebärdensprachler und führte Selbstgespräche. Er wies Dilara darauf hin, sie verstand nicht.
Sie saßen am Schaufenster, um Leute und Tiere zu beobachten, es war ein kalter Nachmittag in der Mitte der Hauptstadt, im Schatten des Regierungsviertels, sie saßen als heimische Touristen da und diskutierten über den Zusammenhang zwischen Gesundheit und Propaganda. „Man kann sich nicht gesund essen“, sagte Dilara und schaute kritisch auf das Glas vor mir. Die Eier hatte ich bereits vertilgt. Sie waren von katholischen Hühnern gelegt worden. Sie schmeckten gut.
RENÉ HAMANN
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