Das nasse Rauschen

Woher kommt die Faszination für bewegte Bilder vom Meer? Mit einer Tagung und begleitenden Filmen wurde in Hamburg das „Maritime Kino in Deutschland und Europa“ erforscht und diskutiert

von ANDREAS BUSCHE

Wasser zählt seit der Frühgeschichte des Kinos zu dessen zentralen Topoi. In England entstand bereits um die vorletzte Jahrhundertwende das beim Jahrmarkts-Publikum äußerst beliebte Genre der „Brandungs-Filme“: einminütige Impressionen von Wellenbewegungen und schäumender Gischt. „Eine Barkasse verlässt den Hafen“ (1895), einer der bekanntesten Kurzfilme der Brüder Lumière, verdeutlichte früh die Faszination der Pioniere des Stummfilms für das Meer und überhaupt menschliche Fortbewegung. Diese Vorliebe für besinnliche Naturbilder (der romantisch-verklärte Blick auf das Wasser, mit dem außerhalb der Kadrage imaginierten Horizont) und die andererseits schiere Kraft der maschinisierten Bewegung blieb lange Zeit erhalten. Die Dialektik spiegelte sich ab den 10er-Jahren des letzten Jahrhunderts im Aufkommen des militärischen Marinefilms wieder, aber auch im Boom des deutschen Ferntourismus zwischen den Weltkriegen, dessen Aufkommen ebenfalls eng verflochten war mit der Geschichte des Kinematografen.

Der Kongress „Leinen Los – Maritimes Kino in Deutschland und Europa 1912–1957“ des Cinegraph-Vereins, der am Sonntag in Hamburg zu Ende ging, hatte es sich zur Aufgabe gemacht, diese Spur maritimer Bildproduktion in der deutschen Filmgeschichte aufzunehmen und eingehender zu untersuchen. Ein „Maritimes Kino“, wie es der Titel suggeriert, hat es in Deutschland natürlich nie gegeben. Dennoch durchzieht eine Vielzahl solcher Motive den deutschen Film bis in die Nachkriegsjahre: Es gab die populäre Figur des Seemannes, wie er durch Hans Albers verkörpert wurde; und vom „Traumschiff“ aus wurde sehnsuchtsvoll auf exotische Kulturen geblickt, was seinen Ursprung in den Travelogues des vorklassischen Kinos hatte. Im Zentrum aber stand ein weiteres dominantes Thema, das es den Referenten in Hamburg merklich angetan hatte: die Verstrickung von maritimer Ikonografie und national-ideologischer Propaganda.

Bewegte Bilder spielten, wie die Historiker Jan Kindler und Martin Loiperdinger feststellten, in der Außendarstellung der Marine eine zentrale Rolle. Die kaiserliche Kriegsmarine stand schon vor dem Ersten Weltkrieg durch ihre antimoderne Gesinnung in der Bevölkerung und innerhalb der Streitkräfte in keinem guten Ruf. Die katastrophalen Folgen des deutschen U-Boot-Krieges und des Kieler Matrosenaufstands von 1918 beschädigten das öffentliche Bild der deutschen Flotte noch weiter.

Kaiser Wilhelm II. hatte jedoch früh die Eignung der Wasserstreitkräfte für eine mediale Imagekampagne erkannt: Das Meer war das ideale Element, um Dynamik und Bewegung werbewirksam einzufangen. Zumindest das hatte die Marine der Luftwaffe voraus – wie später auch William Wellman bei den Dreharbeiten zu „Wings“ (1927) feststellen musste. Gefechtsszenen sahen am wolkenlosen Himmel dermaßen unspektakulär aus, dass er Rauchbomben zünden musste, damit sich die Flugzeuge optisch abhoben. Dagegen waren die Gischt am Bug eines Kreuzers, knapp oberhalb des Wasserspiegels gefilmt, oder der Feldherrenblick vom Ausguck Bildmotive, die einem im begleitenden Filmprogramm ständig wiederbegegneten.

„Der Magische Gürtel“ von 1917 ist ein gutes Beispiel, sowohl für nationalistische Propaganda als auch das technische Geschick, einen komplizierten Dreh während des Kriegseinsatzes zu bewerkstelligen. In Hamburg war er in einer vom Imperial War Museum rekonstruierten Fassung zu sehen. „Der Magische Gürtel“ schildert die Feindfahrt des legendären deutschen U-Boots U35 im Frühjahr 1917. Die dokumentarischen Aufnahmen waren seinerzeit so spektakulär, dass der Propagandastreifen noch während des Krieges in englischen und französischen Kinos aufgeführt wurde; dort allerdings – ganz ähnlich den späteren Mehrsprachenversionen des Tonfilms – in umgeschnittenen und den Märkten angepassten Fassungen.

Vier Tage Kriegsmarine und nationalsozialistische Nordlandfahrten, ergänzt um einige populärere Ausflüge in den deutschen Genrefilm, sind schon starker Tobak. Zum Glück war die filmhistorische Perspektive beim 19. Cinefest durch die Auswahl der Gäste etwas aufgelockert. Hier zeigte sich allerdings eine große Diskrepanz, die symptomatisch für weite Teile der Geistes- und Kulturwissenschaften ist: eine manchmal allzu esoterische Selbstbeschränkung gerade im Umgang mit trockenen Fakten, die zum Beispiel den Dialog mit Historikern oft erschwert. In Hamburg war das wieder gut zu beobachten. Die besten Diskussionsbeiträge waren dann meist auch diejenigen, die sich weniger auf Textanalysen denn auf empirische Daten stützten – und nicht zu vergessen: fantastisches Dokumentarfilmmaterial. Die durch Digitalisierung wachsende Verfügbarkeit von seltenen Archivfilmen wird in der Geschichtsforschung in den kommenden Jahren zweifellos von unschätzbarem Wert sein.

Am Ende gab es auch noch eine schöne Entdeckung zu machen: die Amateurfilme des Bordfotografen Richard Fleischhut (1881–1951), der in den 20er- und 30er-Jahren auf den Schiffen der Reederei Norddeutscher Lloyd arbeitete. Fleischhuts Nachlass an privaten Reisefilmen, der vom Bundesfilmarchiv derzeit restauriert wird, ist in Deutschland einzigartig. Das in Hamburg gezeigte Sonderprogramm, in lausiger Bildqualität leider, unterstrich, dass Fleischhut sich formal von den kolonialistisch geprägten Machern von Kulturfilmen abhob. Seine Filme erinnerten in ihrer respektvollen Distanziertheit eher an die Arbeit eines Ethnografen vom Schlage Alan Lomax’. Vor allem aber führten Fleischhuts Asien-Filme von 1925 dem Publikum noch einmal die unnachahmliche Ästhetik des frühen Farbfilms vor Augen.