„Notfallhilfe“ im Süden

Bundeskanzlerin hofft auf „Signal der Geschlossenheit“

Berlin taz ■ Der Generalinspekteur der Bundeswehr hat vor kurzem ein wunderbares Beispiel dafür geliefert, wie man in einem Interview einen Sachverhalt formal korrekt beschreiben – und dennoch völlig an der Sache vorbeireden kann: Er habe „keinen Antrag der Nato“ vorliegen, der einen Einsatz der Bundeswehr im Süden Afghanistans verlange, erklärte Wolfgang Schneiderhan.

Nun lässt sich schwer darüber streiten, was der Generalinspekteur spürt oder eben nicht spürt. Unbestreitbar aber ist: Schneiderhan hat Recht, wenn er betont, dass es keinen entsprechenden Antrag an die Bundesregierung gibt. Den wird es auch nach dem Gipfeltreffen im lettischen Riga nicht geben. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich zuversichtlich, dass von der Konferenz „ein Signal der Geschlossenheit“ ausgehen werde. Das stimmt wahrscheinlich ebenfalls. Dafür sind solche Begegnungen schließlich da.

Offener Streit steht nicht auf der Tagesordnung. Wer bei einer derartigen Tagung plötzlich einen Antrag aus der Tasche zöge, der nicht im Vorfeld abgesprochen war, brüskierte nur das Partnerland. Und erreichte vermutlich wenig. Der Umgang mit Konflikten wird beim Nordatlantikrat in Brüssel ausgehandelt, lange bevor die Regierungschefs zum Gipfel reisen. Das heißt aber nicht, dass es solche Konflikte nicht gäbe. Ungewöhnlich deutlich vernehmbar waren zuletzt Stimmen aus den USA und Großbritannien, die ein Engagement der Deutschen im umkämpften Süden Afghanistans forderten. Rund 2.700 Bundeswehrangehörige sind derzeit am Hindukusch stationiert – aber eben fast ausschließlich im relativ ruhigen Norden des Landes (siehe Grafik). „Unsolidarisch“ nannte das am Wochenende der dänische Verteidigungsminister Søren Gade.

Die Bundesregierung bleibt dennoch bei ihrer Linie. Sie will die deutschen Streitkräfte nicht in die Kämpfe verwickelt sehen. Die Erfolge im Norden würden gefährdet, wenn man dort jetzt Truppenkontingente abzöge, ist ein gern benutztes Argument. Nur: Von Truppenabzug ist gar nicht die Rede. Die Verbündeten wünschen vielmehr eine Aufstockung des deutschen Kontingents um etwa 1.000 Soldaten.

Angela Merkel und Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) betonen, der Ruf nach mehr Soldaten allein könne die Probleme nicht lösen. Notwendig seien auch Entwicklungshilfe und der Aufbau von Institutionen. Die Kanzlerin forderte eine „gemeinschaftliche Strategie“ für Afghanistan. Jung erklärte, die Nato-Truppe müsse sich darum bemühen, die Menschen für sich zu gewinnen.

Das dürfte schwierig sein. Die radikalislamischen Taliban, die einst vernichtend geschlagen zu sein schienen, gewinnen wieder an Einfluss. 3.700 Todesopfer, viele davon Zivilisten, sollen die Kämpfe in diesem Jahr gefordert haben. Und: Es ist in der Geschichte Afghanistans noch niemals Besatzern gelungen, die Bevölkerung für sich zu gewinnen.

Verständlich, dass die Bundesregierung wenig Neigung zeigt, sich tiefer in das Minenfeld hineinzubegeben. Nato-Generalsekretär Scheffer ließ bereits durchblicken, wie die Kompromissformel von Riga aussehen wird: Er lobte den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan und nahm Deutschland vor seinen Kritikern in Schutz. „Was der Gipfel in Riga unterstreichen sollte, ist, dass jeder Verbündete jedem anderen Verbündeten zu Hilfe eilen sollte.“ Notfallhilfe also. Die erlaubt das Afghanistan-Mandat der Bundeswehr allerdings auch schon jetzt, sogar im Süden des Landes. Bettina Gaus