Die Gräben sind tief

Der Richtungsstreit in der CDU ist längst da. Aber mit den Begriffen „links“ und „konservativ“ sind die Fronten nur unzureichend beschrieben

BERLIN taz ■ Noch bevor der CDU-Parteitag begonnen hatte, schien es nicht mehr um das „ob“ zu gehen – sondern nur noch um das „wie“. Und um die Konsequenzen. An einer Mehrheit für den umstrittenen Antrag des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers, der eine längere Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für Ältere vorsieht, zweifelte spätestens seit Sonntag kaum noch jemand. Da hatte Angela Merkel, die der Idee distanziert gegenübersteht, im ZDF angekündigt, für den Antrag stimmen zu wollen. Ein offener Machtkampf ist ihre Sache nicht. Die Kanzlerin wählt lieber andere Mittel.

Der Antrag werde doch an die Fraktion verwiesen, erklärt auf dem Presseempfang am Vorabend des Parteitags einer, der großen Einfluss hat. „Das ist eine Beerdigung dritter Klasse.“ Eine Parteifreundin meint, man könne so einen Antrag in Berlin auch einfach liegen lassen. Oder darauf verweisen, dass der Koalitionspartner nicht wolle und sich da nichts machen ließe.

Aber wenn einer widerwilligen Bundestagsfraktion ein Parteitagsbeschluss nicht gefällt und sie deshalb passiv bleibt, dann hat ein Ministerpräsident ja noch das Mittel der Bundesratsinitiative. Auf dem Presseempfang trinkt auch Jürgen Rüttgers ein Bier. Sehr, sehr gut gelaunt, umgeben von Anhängerinnen und Anhängern, die ihn für seinen Kampf um die soziale Gerechtigkeit preisen. Was sagt er denn zu der Vermutung, die Kanzlerin werde den Beschluss einfach liegen lassen? Das kann er sich nicht vorstellen. Sagt er. „Nicht nach den Diskussionen der letzten Wochen.“

Nicht nur der letzten Wochen. Es ist lange her, dass auf einem CDU-Parteitag so erbittert gestritten wurde. Vor einem „Richtungsstreit“ warnte Günther Oettinger, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, und sein niedersächsischer Amtskollege Christian Wulff mahnte, vom Parteitag müsse ein „Signal der Geschlossenheit“ ausgehen. Fromme Wünsche. In Dresden wurde deutlich: Den Richtungsstreit gibt es. Deutlich wurde aber auch: Mit den Begriffen „links“ und „konservativ“ ist er unzureichend beschrieben, und die Hoffnung der Granden trügt, der Zwist werde als normaler Flügelstreit wahrgenommen. Die Gräben sind tief.

Vielen Delegierten gefällt das nicht. Jürgen Rüttgers bekam dies besonders schmerzhaft zu spüren – bei der Wahl zu einem von vier Vizeparteichefs wurde er nachmittags mit nur 57 Prozent der Stimmen abgestraft. In der Debatte über seinen Antrag hatte er sich am Vormittag kämpferisch gegeben. Mit einem „Linksruck“ habe seine Forderung nichts zu tun: „Wenn 80 Prozent der Leute das wollen, dann ist das nicht links, sondern dann ist das die Mitte der Gesellschaft.“ Die CDU müsse „Sicherheit vor Altersarmut“ bieten. Der saarländische Regierungschef Peter Müller sekundierte: „Wir haben Nachholbedarf bei unseren Bemühungen um soziale Gerechtigkeit.“

Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust widersprach. Er wolle hören, wer für die Besserstellung der Älteren „bluten soll“. Ob es denn gerecht sei, wenn bei Jüngeren, die gerade eine Familie gegründet haben, gekürzt werde? „Pauschal etwas Schönes zu verlangen, ohne zu sagen wie es bezahlt werden soll, das finde ich, mit Verlaub, etwas vordergründig.“ Auch Günther Oettinger stellte sich offen gegen Rüttgers. Es gehe nicht darum, die Arbeitslosigkeit zu verwalten, sondern darum, Arbeitsplätze zu schaffen.

Dass Rüttgers dennoch mit einer Mehrheit für seinen Antrag rechnen konnte, ist auf einen Deal zwischen Landesverbänden zurückzuführen: Für die Zustimmung von Baden-Württemberg sollten die Delegierten aus NRW im Gegenzug der von Stuttgart geforderten Lockerung des Kündigungsschutzes zustimmen. Aber keine noch so kluge Parteitagsregie ist imstande, Unbehagen wegzuorganisieren. „Ich behaupte, Frau Bundeskanzlerin, dass wir unsere Niederlage bei den Bundestagswahlen noch nicht verarbeitet haben“, sagte ein Delegierter aus Düsseldorf. Vielleicht ist das des Pudels Kern. BETTINA GAUS