Der Fels

Die vielen Erfolge halten das Ungemach fern. Und der lange Schatten, den der Männerfußball auf das Pendant der Frauen wirft, hilft ihm wohl auch. Es müsste schon etwas Merkwürdiges passieren, damit der Posten von Ralf Kellermann gefährdet wäre. Seit 2008 trainiert er die Bundesligafrauen des VfL Wolfsburg. Neider behaupten, es sei kein Kunststück, mit einem vom VW-Konzern reich beschenkten Klub von Sieg zu Sieg zu eilen. Richtiger dürfte sein, dass der 45-Jährige die Rahmenbedingungen genutzt hat, Wolfsburg behutsam aufzupäppeln und von den etablierten Teams eines nach dem anderen vom Sockel zu stoßen.

Die jüngste Bilanz seiner Elf ist ein Adelsschlag. 2013 hatte sich das VfL-Ensemble das Triple aus Meisterschaft, Pokalsieg und Champions-League-Titel gesichert. In diesem Jahr ist nach dem Triumph in der europäischen Königsklasse und dem Aus im Pokal noch ein Double möglich. Kellermanns schwierigste Aufgabe ist das Verscheuchen der Favoritenrolle. Wenn immer alle erwarten, dass die Wolfsburgerinnen jedes Spiel gewinnen, baut sich eine Last auf.

Es gab in der laufenden Saison sogar einen Moment, an dem die Vereinsführung des VfL nach zu vielen Punktverlusten Kritik anmeldete. Der Rüffel galt nicht dem Trainer, sondern den Spielerinnen. Die vorzeitige Verlängerung des Arbeitsvertrages von Kellermann bis 2017 war ein Hinweis darauf, wer beim Wolfsburger Fußballfrauen-Projekt nach den VW-Bossen und Geschäftsführer Thomas Röttgermann das größte Hütchen trägt.

Viele der Bewährungsproben, die Kellermann zu bestehen hat, gibt es abseits der Trainingsarbeit. Immer wieder muss er erklären, dass der Frauenfußball auf dem richtigen Weg sei und angesichts der Männerdominanz unter keinem Komplex leide. Er erledigt Pionierarbeit in der Hinsicht, dass die Leistungen seines mit Nationalspielerinnen gespickten Teams genügend gewürdigt werden. Und er musste zuletzt miterleben, wie im Ligaspiel gegen Turbine Potsdam der Vorwurf ins Spiel kam, er könnte Gäste-Spielerin Genoveva Anonma rassistisch beleidigt haben. Dem Trainer und Sportdirektor in Personalunion gelang es souverän, die Vorwürfe zu entkräften und sich von ausländerfeindlichen Parolen zu distanzieren.

Sein souveränes Auftreten lässt die Frage zu, ob ein zweifacher Champions-League-Gewinner im Frauenfußball nicht auch ein guter Anführer einer Männerelf wäre. In seiner Vita steht, dass er zwar ein Profitorhüter mit Zweitliga-Einsätzen war, aber bisher nur die Herren des SV Brunsrode-Flechtorf in der Bezirksliga trainiert hat. Dass eine solche Referenz als Basis für europäische Triumphe taugt, ist eine Anekdote – die auch etwas über den Frauenfußball sagt. CHRISTIAN OTTO