„Ich muss nicht immer dominieren“

UNION BERLIN Er hält nichts von Ballbesitzfußball und will die Mannschaft radikal verjüngen: Norbert Düwel, der neue Coach des Zweitligisten, über seine Idee von Fußball und den Erwartungsdruck der Medien

■ 46, gebürtiger Bayer, von 2009 bis 2013 Ko-Tainer des Bundesligisten Hannover 96, davor Scout beim englischen Erstligisten Manchester United.

INTERVIEW JENS UTHOFF

taz: Herr Düwel, Sie waren etwa ein Jahr arbeitslos, nun sind Sie Trainer und Sportdirektor bei Union Berlin.

Norbert Düwel: Arbeitsuchend. (schmunzelt) Ich war vorher in der Warteschleife und bin jetzt on fire. Das macht Spaß, aber natürlich kommen jetzt auch massiv Transferanfragen, und es sind lange Tage. Ich habe den Vorteil, dass ich aus meiner Zeit als Scout bei Manchester United – das ist ja noch nicht so lange her – den deutschen Markt noch bestens kenne.

Wie sind Sie so, wenn Sie on fire sind?

Ich arbeite so lange, wie es notwendig ist. Feierabend gibt es sowieso oft nicht, weil den Spielerberatern auch gern mal sehr spät am Tage einfällt, mir ihre Kicker anbieten zu wollen.

Was lag außer den Transfergeschichten in Ihrer ersten Woche bei Union an?

Es war eine gesprächsintensive Woche. Ich habe mir einen ersten Überblick über mögliche Transfers verschafft. Ich habe mit allen engen Mitarbeitern gesprochen, mit dem Mannschaftsrat und mit Kapitän Torsten Mattuschka.

Worum ging es denn in dem Gespräch mit Mattuschka?

Wir haben darüber gesprochen, wie die letzte Saison aus seiner Sicht gelaufen ist. Ich wollte wissen, wie er als Person so ist, weil er ja ein ganz wichtiger Faktor –und zudem bei Union eine Legende – ist. Es war ein „Beschnuppern“, wie er es ausgedrückt hat.

Wird er denn Kapitän bleiben?

Das kann ich noch nicht sagen.

Welche Transfers schweben Ihnen vor?

Wir brauchen einen neuen zweiten Torwart und einen linken Verteidiger. Im Sturm werden wir sehen, was passiert. Wir schauen in alle Richtungen, in allen Ländern. Die Mannschaft muss und soll verjüngt werden, das hat Priorität.

Könnten aus Unions starken Jugendmannschaften, etwa aus dem Regionalligateam oder der U23, Spieler nachrücken?

Ich hatte Gespräche mit dem Nachwuchsleistungszentrum, auch mit der U23 – wir werden da genau hingucken. Die Toptalente sollen möglichst früh integriert werden. Hier wird hervorragende Jugendarbeit geleistet – wichtig ist, dass sie frühzeitig integriert werden. Das ist meine Aufgabe.

Sind Sie ein Trainer, der der Mannschaft vorgibt, dem Gegner das eigene Spiel auf Biegen oder Brechen aufzuzwingen?

Ich bin nicht darauf festgelegt, immer das Spiel dominieren zu müssen. Man muss jeweils die aktuelle Situation analysieren und flexibel spielen können. Ich hab ’ne Idee vom Fußball. Die werde ich der Mannschaft vermitteln und auf den Platz bringen. Die Idee ist nicht exklusiv, und ich habe bestimmt nicht den Fußball erfunden.

Sie haben in Hannover mit Mirko Slomka zusammengearbeitet. Werden Sie die Slomka-Taktik – also Kontern, schnelles Umschalten, kein Ballbesitzfußball – nun auch bei Union anwenden?

Ich war ja nicht nur Zuschauer, wir haben da sehr erfolgreich zusammengearbeitet. Meine Arbeit bestand dort nicht nur aus Hütchen aufstellen. Es waren viele Ideen von mir mit dabei. Diese Taktik hat zum damaligen Zeitpunkt, zu der damaligen Mannschaft, 100-prozentig gepasst. Aber man muss die Situation immer wieder aktuell analysieren und sie immer wieder mit den Vorstellungen abgleichen, die man selbst vom Fußball hat.

In der abgelaufenen Saison hat man bei Union viel Ballbesitzfußball und wenig Effizienz gesehen. Diese Art des Fußballs wird es nicht mehr geben, oder?

Davon gehe ich stark aus, denn das ist nicht meine Art von Fußball. Ballbesitz und gute Prozentzahlen bringen nichts, wenn man im Endeffekt wenige Torchancen hat. Da möchte ich natürlich was ändern. Aber gegen sehr gut organisierte, defensiv ausgerichtete Teams zu spielen, wie es Union zuletzt oft tun musste, ist die schwerste Aufgabe im Fußball überhaupt. Damit tun sich alle Mannschaften der Welt schwer, außer zur besten Zeit Barcelona und in dieser Saison zum Teil Bayern.

Welches System werden Sie spielen lassen?

Ich bin kein Freund von Zahlenspielen, ob nun 4-2-3-1 oder 4-3-3. Fußball stellt sich nicht anhand von Zahlen dar. Aus meiner Erfahrung sage ich Ihnen: So einfach ist das gar nicht immer zu sehen, welches System eine Mannschaft spielt. Die Spieler sollen einen Plan haben, wie sie ihre Position ausfüllen. Den werden sie von mir bekommen.

Könnte es sein, dass viele Stammkräfte aussortiert werden und die ganze Mannschaft damit ein neues Gesicht bekommt?

Ich mache mich völlig frei von dem, was vorher war. Wichtig ist mir, dass der jeweilige Spieler versteht, welche Art von Fußball ich spielen will. Wenn der Spieler das umsetzen kann, hat er gute Chancen, zu spielen. Das ist ganz egal, welcher Spieler das ist.

Wenn Sie neue Spieler anwerben wollen: Was erzählen Sie denen, damit Sie zu ihnen kommen?

Da muss ich nicht viel erzählen. Weil’s ein sensationeller Klub ist, eine Topadresse. Ich bin auch dankbar, unter diesen Bedingungen hier arbeiten zu können.

Apropos Topadresse: Da werden die Erwartungen ja schnell auch mal etwas höher gehängt, besonders in Berlin. Haben Sie Respekt?

Wenn ich mit Angst oder zu viel Respekt an die Aufgabe herangehen würde, wäre ich falsch hier. Ich sehe immer das Positive an so einer Aufgabe. Ist doch toll, dass so viel Interesse da ist. Man kann es auch umgekehrt sehen: Wo viele Medien sind, kann es bei einem positiven Lauf doch dazu beitragen, dass das Image des Klubs noch besser wird als es ohnehin schon ist.

Sie wohnen derzeit noch in Hannover. Was macht die Wohnungssuche?

Meine Frau und ich schauen uns gerade Wohnungen an, haben aber noch nichts gefunden. Es sollten kurze Wege zum Stadion sein, das macht es für alle Beteiligten leichter.

Sie waren in der Jugend FC-Liverpool-Fan. Waren Sie da eigentlich so einer von diesen richtigen Hardcore-Fans?

Das kommt auf die Definition von „Hardcore“ an. Im Stadion war ich schon ein paarmal.

Haben Sie vor Ihrem Job bei Union bereits eine Beziehung zum Berliner Fußball aufbauen können?

Na klar. Meine erste Berührung mit Union war eine Fahrt mit den Fans in der Straßenbahn zum Stadion, da habe ich es wirklich hautnah – quasi Hardcore – erlebt. Das hat Spaß gemacht.

Waren Sie damals in Ihrer Funktion als Scout unterwegs?

Nein, ich bin als Fußballfan gekommen. Ich hatte damals keinen Scouting-Auftrag.

Wie gefällt Ihnen Köpenick?

Ich habe die Altstadt und das Rathaus gesehen. Es ist ein toller Bezirk mit viel Wasser, eine schöne Location im Sommer. Ich war ein bisschen überrascht – man hat ja das Gefühl, es ist ein Dorf in der Stadt. Und ich habe das Gefühl gehabt, dass die Leute hier sehr nett sind. Damals in der Straßenbahn habe ich schon Leute kennengelernt.

Werden Sie denn schon erkannt, so etwa in der Art „Ist das nicht der neue Union-Trainer?“?

Bisher war ich ja die meiste Zeit am und im Stadion bei der Arbeit. Hier werde ich erkannt.