Der Entscheid über das Feld zieht Europa hoch

WAHLBETEILIGUNG Deutlich mehr Berliner als vor fünf Jahren interessieren sich für die Europawahl

In Friedrichshain-Kreuzberg war die Beteiligung am höchsten

Seit Langem fragt sich die Politik, was sie gegen sinkende Wahlbeteiligung machen kann. Jetzt ist die Antwort da: Einfach einen Volksentscheid auf denselben Termin legen. Die Abstimmung über das Tempelhofer Feld hat dazu geführt, dass die Beteiligung an der Europawahl in Berlin von miserablen 35,1 Prozent im Jahr 2009 deutlich gestiegen ist: auf mehr als 46 Prozent.

Noch vor einem halben Jahr hatte der Senat es abgelehnt, die Abstimmung über die Gründung eines landeseigenen Öko-Stadtwerks auf den Termin der Bundestagswahl zu legen.

Die Initiatoren hatten das gefordert, damit es für sie leichter ist, das Quorum zu knacken, das die Politik für Volksentscheide festgelegt hat: Es müssen mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten für einen Volksentscheid stimmen, damit er Erfolg hat. Bei Wahlen gibt es dagegen keinen vergleichbaren Mechanismus: Egal wie gering die Wahlbeteiligung ist, die Parteien dürfen immer 130 Abgeordnete ins Landesparlament schicken.

Mehr als der harte Kern

Im November scheiterte die Energie-Abstimmung knapp am Quorum. Die Abstimmung am Sonntag über das Tempelhofer Feld knackte das Quorum dagegen locker: 30 Prozent der Wahlberechtigten stimmten für die Forderungen der Initiatoren.

Das zeigt, dass eine europaweite Wahl und ein lokalpolitischer Volksentscheid neben dem harten Kern von Wählern, die zu jeder Wahl gehen, durchaus unterschiedliche Gruppen anzieht. Und die dann aber, wenn sie sowieso schon mal da sind, gleich für beides abstimmen: für Europa und über das Feld.

Es ist erst das zweite Mal, dass ein Volksentscheid in Berlin das Quorum schafft. Das erste Mal, im Februar 2011, stimmten 665.713 Berliner für eine Veröffentlichung der Verträge zur Privatisierung der Wasserbetriebe.

Dagegen scheiterte im Jahr 2008 der Volksentscheid über die Offenhaltung des Flughafens Tempelhof als Flughafen knapp am Quorum.

Im April 2009 stimmte dann eine knappe Mehrheit von 51,4 Prozent der Abstimmenden gegen Religion als Wahlpflichtfach in den Schulen.

Die höchste Wahlbeteiligung am Volksentscheid am Sonntag gab es im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg: Dort gingen 54,5 Prozent zur Wahl. Gleichzeitig war dort die Zustimmung zu den Forderungen der Initiative „100 % Tempelhofer Feld“ auch am größten: 76 Prozent stimmten mit „Ja“, so das Ergebnis der Landeswahlleiterin gegen 22 Uhr bei einem Auszählungsstand von 82 Prozent.

Im Bezirk Mitte lag die Wahlbeteiligung bei 45 Prozent, in Pankow bei 47 Prozent, in Charlottenburg-Wilmersdorf bei 53,1 Prozent. In Spandau gingen beinahe 40 Prozent zur Wahl, in Steglitz-Zehlendorf 57 Prozent. In Neukölln lag die Wahlbeteiligung bei 46,3 Prozent, in Tempelhof-Schöneberg bei 53,3 Prozent. In Treptow-Köpenick zog es 43,6 Prozent der Wahlberechtigten an die Urne, im Ostberliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf 33,1 Prozent, in Lichtenberg 36,7 Prozent und in Reinickendorf 44,2 Prozent.

Bundesweit stieg die um 14 Uhr registrierte Wahlbeteiligung bei der Europawahl von 20,2 Prozent im Jahr 2009 um mehr als fünf Prozentpunkte auf 25,6 Prozent.

In Hessen lag die Beteiligung an der Europawahl um 14 Uhr diesmal bei 19,5 Prozent, während es fünf Jahre vorher 16,6 Prozent waren. In Niedersachsen stieg die um 16.30 Uhr gemessene Wahlbeteiligung von 31,9 auf 40 Prozent. SEBASTIAN HEISER