Berlin wählt rotes Europa

EUROPAWAHL Die SPD wird überraschend stärkste Kraft in Berlin – und bringt satte 5 Prozentpunkte zwischen sich und die Christdemokraten. Hohe Wahlbeteiligung

„Die SPD hat ihre Position als Berlin- Partei gefestigt“

LANDESCHEF JAN STÖSS

VON STEFAN ALBERTI

Die SPD in unerwarteten Höhen, die AfD in befürchteter Stärke: Mit 23,9 Prozent wurden die Berliner Sozialdemokraten die mit Abstand stärkste Partei vor CDU und Grünen, legten rund 5 Prozentpunkte zu und machten damit ihre Niederlage von 2009 wett, als sie nur drittstärkste Kraft im Land wurden. Die AfD schnitt in Berlin noch stärker ab als auf Bundesebene – und holte 8,1 Prozentpunkte.

Stöß lässig

Lässig, völlig lässig hebt Jan Stöß den rechten Daumen. Auf der Fernsehleinwand vor ihm ist gerade die Berliner SPD mit ihrem Europawahl-Ergebnis in ungeahnte Höhen gestiegen. Der Landesvorsitzende der Sozialdemokraten und seine Parteifreunde, sie hatten tagsüber in den Wahllokalen stadtweit die Schmach ertragen müssen, nur an dritter Stelle auf dem Wahlzettel aufzutauchen, gemäß ihrem Ergebnis von 2009.

„Wir freuen uns besonders, dass wir beim nächsten Mal wieder oben auf dem Stimmzettel stehen werden“, sagt Stöß der taz im Kreisbüro der SPD Friedrichshain-Kreuzberg, wo die Landespartei am Sonntagabend feierte, „die SPD hat ihre Position als Berlin-Partei gefestigt.“

Der Sieg kommt so deutlich wie unerwartet. Zwar legt die Berliner SPD mit rund 5 Prozentpunkten Zuwachs nicht so deutlich zu wie die Bundespartei mit über 4 Prozentpunkten. Doch hatte mancher ganz andere Zahlen erwartet. Dagmar Roth-Behrendt etwa, die ausscheidende langjährige Euroapaabgeordnete, hatte schlimme Folgen befürchtet, nachdem die Partei jüngst zwei Wochen lang vorwiegend mit internen Führungsquerelen Schlagzeilen machte – statt mit der Europawahl oder dem parallelen Volksentscheid zum Tempelhofer Feld. Und nicht übermäßig zulasten des Europawahlergebnisses gingen offenbar auch die neuen schlechten Botschaften vom BER.

Bei der CDU sorgte das Ergebnis für Kopfschütteln. Auf Bundesebene hatte die Partei ihr Europawahlergebnis von 2009 ungefähr gehalten, bei Stimmungsumfragen zur nächsten Abgeordnetenhauswahl 2016 ist sie seit Monaten stärkste Partei. Beim Europawahlergebnis aber rutschte sie von über 24 auf 19,9 Prozent ab – und konnte sich zwischenzeitlich nicht einmal sicher sein, wenigstens vor den Grünen zweitstärkste Kraft zu werden.

„Unser Abschneiden in Berlin ist enttäuschend und hat uns überrascht“, sagte CDU-Landeschef Frank Henkel. „Bei der Europawahl ging es jedoch nicht um Berliner Themen.“

Die Linkspartei hingegen konnte einen doppelten Erfolg feiern. Sie steigerte nicht nur ihr Ergebnis von 14,7 Prozent 2009 auf über 16 Prozent, was ihrem derzeit guten Abschneiden bei Umfragen auf Landesebene entspricht. Sie ist zudem mit Martina Michels erneut im Europaparlament vertreten. Michels hatte vor fünf Jahren den Einzug hauchdünn verpasst und war vor kaum einem Dreivierteljahr 2013 ins Europaparlament nachgerückt.

Grüne haben verloren

Landeschef Klaus Lederer sah anders als die CDU durchaus einen Zusammenhang mit Berliner Politik und begründete den Erfolg damit, dass seine Partei stadtpolitische mit europäischen Anliegen habe verbinden können.

Auch die Grünen gehören zu den Verlierern des Abends, mit über viereinhalb Prozentpunkten weniger als bei der Wahl 2009. Die Piraten, bei der Berlin-Wahl 2011 noch bei 8,9 Prozent, rutschten auf 3,3 Prozent ab. Das war immerhin mehr als auf Bundesebene, wo sie nur 1,4 Prozent erhielten.

Die Wahlbeteiligung lag fast um ein Drittel über der aus dem Jahr 2009. Gingen damals nur 35 zur Europawahl, so waren es jetzt 46,5 Prozent. Dieser Anstieg ist deutlich höher als die gewachsene Beteiligung auf Bundesebene – von 43 Prozent auf 48 Prozent – was offenbar auf den parallelen Volksentscheid zum Tempelhofer Feld zurückzuführen ist.