Diese lebendigen Fettpölsterchen

SKULPTUR Einst erfolgreich, dann vergessen: Der Bildhauer Reinhold Begas war ein Propagandist des Kaiserreichs. Das Deutsche Historische Museum und das Georg-Kolbe-Museum lenken den Blick zurück auf seinen Neobarock

Mit großer Virtuosität schlug er weibliche Nackedeis aus dem Marmor

VON RONALD BERG

Der Fall Reinhold Begas ist merkwürdig: Der Name des Bildhauers ist aus dem kollektiven Gedächtnis der Gegenwart fast völlig verschwunden, und doch ist man sicher schon an seinen Werken vorbeigelaufen: dem Neptunbrunnen vor dem Roten Rathaus, dem Bismarckdenkmal im Tiergarten oder dem Schillerstandbild auf dem Gendarmenmarkt. Und das sind nur die prominentesten Beispiele für die Bildhauerkunst eines Mannes, der zu Lebzeiten so berühmt und verehrt war, dass eine Zigarrenmarke und eine Kaffeefirma mit seinem Antlitz warben.

Begas war der Propagandist der wilhelminischen Hohenzollernmonarchie und neben dem Maler Anton von Werner vielleicht der wichtigste Protagonist eines wilhelminischen Kunststils. Begas oft ins Monumentale ausgreifender Neubarock erschien als passendes Pendant zum Ausdruck der Großmannssucht des Kaisers. Diese Identifizierung von Begas’ Kunst mit dem Interessen und dem Geschmack des Kaisers wurden dem Bildhauer nach dem Untergang der Monarchie zum Verhängnis, auch wenn er das Ende der Epoche selbst nicht mehr erleben musste. Begas starb 1911, achtzigjährig. Der Todestag ist nun Anlass für das Deutsche Historische Museum (DHM), ihn als „bedeutenden Künstler seiner Epoche“ vorzustellen. Die Schau ist übrigens die erste Begas-Ausstellung nach hundertjähriger Pause.

Auch heute noch prägt Begas das Berliner Stadtbild. Erstaunlicherweise war es gerade die DDR, die die größtenteils nach dem letzten Krieg abgeräumten Riesenskulpturen peu à peu wieder ins Zentrum ihrer Hauptstadt rückte. 1969 kehrte der Neptunbrunnen zurück, 1987 setzte man zwei Begas-Figuren, die „Kraft“ und die „Kriegswissenschaft“, in die Rabatten im wiedererrichteten Nikolaiviertel, das Schillerdenkmal kehrte 1988 vor Schinkels Schauspielhaus zurück.

Hohenzollern heimlich verscharrt

Von Begas’ größter Schöpfung, dem Nationaldenkmal zum Gedenken an Kaiser Wilhelm I., enthüllt 1897, blieben nur die nicht von ihm selbst gearbeiteten Löwen. Seit 1963 stehen sie im Tierpark Friedrichsfelde. Die ganze säulenbestandene Anlage, einst auf der Westseite des Berliner Schlosses gelegen, maß 78 Metern mal 40 Meter und prunkte – neben den vier überlebensgroßen Löwen – mit zwei Quadrigen auf dem Dach und etlichen allegorische Figuren. Der bronzene Wilhelm I. selbst thronte hoch zu Ross und war mit neun Metern Höhe (ohne Postament) so groß, dass lebende Menschen dagegen wie Zwerge wirkten.

Die regierenden Kommunisten schleiften das Denkmal 1950 und ersetzten Pickelhaube durch Friedenstaube. So kann man es im DHM auf einer Fotografie von der Dekoration für die Weltfestspiele der Jugend von 1951 sehen.

Auch im Westen hatte man nach dem Kriege wenig für Begas übrig. Die 1901 unter seiner künstlerischen Leitung vollendete Siegesallee mit ihren 32 Figurengruppen von historischen Hohenzollernherrschern im Tiergarten, die Wilhelm II. Berlin schenkte, wurde abgerissen, die Figuren wurden in den 50ern heimlich verscharrt. Demnächst allerdings sollen die seinerzeit von den Berlinern spöttisch „Puppen“ genannten Figuren den Grundstock eines Denkmalmuseums auf der Zitadelle Spandau bilden.

So ändern sich die Zeiten. Die Rehabilitierung des Hofbildhauers scheint also bereits im vollem Gange. Doch tut man im DHM so, als müsse man Begas erst noch vom Ruch wilhelminischer Geschmacksverirrung befreien und ihn als Großkünstler nobilitieren. Anders als im Georg-Kolbe-Museum, wo man sich mit einigen Fotos der Begas’schen Werke begnügt, hat Kuratorin Esther Sophia Sünderhauf im DHM eine Art Begas-Ruhmeshalle eingerichtet. Zu erleben sind Leben und Werk des Künstlers: Ein Rom-Stipendium brachte ihn vom Klassizismus seines Lehrers Christian Daniel Rauch ab und bekehrte ihn zum schwelgenden (Neu-)Barock, der sein Markenzeichen werden sollte. Zurück im heimatlichen Berlin folgten bald etliche Aufträge für Porträts aus der kaiserlichen Familie und auch offizielle Denkmale.

Anders als der differenziertere Katalog mit seinen 14 Autoren und einem neu erarbeiteten Werkverzeichnis erfüllt die DHM-Ausstellung den Anspruch einer Kunst als Kulturgeschichte, wie sie Direktor Hans Ottomeyer als Aufgabe seines Hauses behauptet, nur unvollkommen. Begas wird in diesem historischen Museum jetzt kaum anders vorgestellt denn als Qualitätsbildhauer. Kulturelle Kontexte fehlen, Vergleiche mit modernistischen Zeitgenossen gibt es nicht.

Begas war zweifellos eine großartige Begabung: Die Virtuosität, mit der er insbesondere seine weiblichen Nackedeis aus dem Marmor schlug, die Lebendigkeit, mit der er die Fettpölsterchen und Grübchen wiedergeben konnte, bewunderte seine Zeit als „Apotheose des Fleisches“. Gerade Begas’ Frauenfiguren – ob als Allegorien, als schmeichelndes Porträt oder als fürsorgliche Muttergestalten – gelangen ihm besser als der aufgesetzte Pomp bei den Hohenzollernmajestäten. Das immerhin kann man nun im DHM im Detail studieren.

Die Bodenständigkeit der Musen

Neben dem bronzenen Wilhelm I. wirkten lebende Menschen wie Zwerge

Selbst beim Nationaldenkmal führt dem greisen Monarchen eine Frau die Zügel seines Rosses. Aus der Nähe betrachtet kontrastieren insbesondere die weiblichen Nebenfiguren des glorifizierenden Gestus der offiziellen Denkmale. So auch beim Schillerdenkmal aus den 1860er Jahren. Der lorbeergeschmückte Dichter im Tunika-ähnlichen Mantel mit Blick in ätherische Fernen erfüllt die Verpflichtung zum Pathos. Die vier kräftig gebauten Musen am Sockel aber lagern gemütlich sitzend darunter und sorgen für bodenständige Sinnlichkeit. Noch relaxter und selbstbewusster geben sich die Flussallegorien am Neptunbrunnen.

Gegenüber der holden Weiblichkeit stellen sich selbst halbanimalische Kentauren bei Begas höflich, entgegenkommend und zärtlich an. Und welch eine rührende Idee ist es, den elektrischen Funken als ungestüm sich küssenden Liebespaar zu versinnbildlichen!

Bei vergleichsweise kleineren Arbeiten findet man Figuren voller Fürsorge und Zuneigung: Eine mütterliche, aber mit schwellender Erotik ausgestattete Venus tröstet Amor, ein zottelig-bocksbeiniger Pan lehrt einem auf seinem Schoß sitzenden Knaben das Flötenspiel – ganz die liebevolle Vaterfigur.

Solch innige Szenen wollen nicht ins Bild zum Tschingderassabum kaiserlicher Kraftmeierei passen. Begas liebte am Barocken weniger die angeberische Pose männlicher Präpotenz als vielmehr die vitale, in sich ruhende Sinnlichkeit weiblicher Formen und inniger Zuneigung. Die pauschale Identifizierung der Begas’schen Kunst mit dem Charakter wilhelminischer Großmannssucht ist daher ein Fehlschluss.

Die DHM-Schau könnte also alten Vorurteilen begegnen, würde sie nicht umgekehrt selbst zu einseitig das Ideale und Schöne an Begas betonen und zu wenig jene dunkle Seite von Begas aufklären als williger Vollstrecker kaiserlicher Politpropaganda.

■ Deutsches Historisches Museum, Unter den Linden 2, bis 6. März 2011, tgl. 10–18 Uhr (24. u. 25. 12. geschlossen)

■ Georg-Kolbe-Museum, Sensburger Allee 25, bis 16. Januar, Di.–So. 10–18 Uhr, (24. 12 u. 31. 12. geschlossen)