BIS VOR WENIGEN MONATEN GALT DIE VORSILBE „EWRO“ IN RUSSLAND ALS UNVERZICHTBARES GÜTESIEGEL
: Wenn die „Flammen der Apokalypse“ ausschlagen

Von Klaus-Helge Donath

Russland ist nicht Europa“, lautet das neue Leitmotiv des russischen Kulturministeriums. Nach 300 Jahren Kampf um Dazugehörigkeit kam diese Feststellung schon ein wenig plötzlich. Europa ist mal wieder abgesagt. Es kommt als ein willenloser Schwächling daher, der saft- und kraftlos am Rande des zivilisatorischen Abgrunds schwankt. Kurzum, Europa steht in Moskau steht schon als sicherer Loser der Weltgeschichte fest.

Wenn von Europa überhaupt noch ein Impuls ausginge, dann seien es die „Flammen der Apokalypse“, hieß es anlässlich des Sieges von Conchita Wurst beim ESC in der Iswestija. Hätte Präsident Putins chauvinistischer Pausenclown Wladimir Schirinowski das Sagen, wäre die Befreiung Wiens 1945 durch die Rote Armee revidiert worden. Das brüllte der patentierte Kremlnarr hochgradig erregt ins Studio und schob hinterher: „Der Donbass ist unser“, ein Fall für die Psychiatrie. In Europa zumindest. Der Untergang des Kontinents steht ohnehin längst fest. Literarisch ist der Niedergang spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts bezeugt, als Alexander Herzen enttäuscht vom „faulenden Europa“ sprach. Dennoch nimmt sich das kraftmeiernde Moskau dieses schwindsüchtige Gebilde immer wieder zur Blaupause. Selbst in der Ablehnung – wie im Bolschewismus – greift es auf dessen alternatives Ideengut zurück.

Noch vor einigen Monaten galt die Vorsilbe Euro – Ewro - als unverzichtbares Gütesiegel. Wer etwas auf sich gab, ließ die Wohnung durch „Ewroremont“ aufwerten und alles wurde an „Ewrostandards“ gemessen. Die „ höflichen Menschen“ auf der Krim haben Russland verändert. Über Nacht fiel das Land in eine Massenpsychose. Die Militärs legten eine zweite Natur frei. Offensichtlich wird der Mensch erst durch Zugehörigkeit zu einem Gebilde, das andere unterwirft, zum Individuum, das sich mit Selbstachtung begegnet.

Aktionen laufen in verschiedenen Städten, wo „unpatriotische“ Kleidungsstücke mit westlichen Aufschriften wie „I love Paris“ oder „FBI“ gegen russische eingetauscht werden: „Die Krim ist unser“ ist einer der Renner, aber auch der nützliche Hinweis: „Ich bin Russe.“ „Russisch ist Mode“ heißt diese Aktion der Jugendbewegung „Set“ – Netz. Auch das Verteidigungsministerium ist auf den Trichter gekommen und bietet einen Kleidersatz „Patriot“ mit Aufdruck „Höfliche Menschen“ und grünen Männchen an.

Oberkommandierender Putin und Verteidigungsminister Schoigu sind schon in Khaki-Uniform nebst Kolonialhelm zu haben. Russland stimmt für Europa ein Requiem an, der Kontrapunkt ist Abschätzigkeit und Schadenfreude. Darin liegt das Tragische. Denn es ist nicht viel mehr als ein Veitstanz des Spießertums. Der Mob rast und die Regisseure schlagen sich ungläubig auf die Schenkel. Vizepremier Dmitri Rogosin träumte gar, in den Schützengräben von Slawjansk zu liegen, und droht einem unbotmäßigen EU-Nachbarn einen Besuch mit einer Topol-M-Rakete an. Auch dionysische Spiele müssen irgendwann ein Ende haben.