Konservative auf dem Durchmarsch

EU Im Januar übernimmt Ungarn die Ratspräsidentschaft. Premier Viktor Orbán hat Brüssel mehrfach verärgert

BERLIN taz | „Es ist absehbar, dass Ungarn in kurzer Zeit eher der russischen gelenkten Demokratie ähneln wird als einer pluralistischen westlichen Demokratie mit Gewaltenteilung“, prognostizierte die britische Tageszeitung Guardian unlängst und forderte Brüssel auf, Budapest ein entsprechendes Signal zu senden. Der Appell kommt spät. Ab dem 1. Januar 2011 übernimmt Ungarn für die nächsten sechs Monate die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union. Und mit dem Populisten Viktor Orbán und seiner rechtsnationalen Partei Fidesz regiert dort ein Mann, der dabei ist, sein Land zum Paria Europas zu machen.

Am 25. April 2010 sicherte sich Fidesz mit 263 von 386 Mandaten eine satte Zweidrittelmehrheit im Parlament. Orbán schwadronierte von einem Systemwandel und einer nationalen Revolution, die die Wähler an der Urne vollzogen hätten. Was sich seither abspielt, übersteigt selbst die größten Befürchtungen erklärter Kritiker des Premiers. So legte sich Orbán mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der EU an, deren Forderung nach einer Schuldenverringerung der Regierungschef mit der Bemerkung quittierte, man lasse sich vom Ausland nichts vorschreiben. Auch eine Krisensteuer für ausländische Unternehmen, um das Haushaltsdefizit auszugleichen, verärgerte Brüssel. Denn die EU-Kommission hat klargestellt, dass die Steuergesetzgebung eines Staats nicht zwischen Einheimischen und Ausländern unterscheiden dürfe.

Im Mai verabschiedete das Parlament im Sinne der von Orbán propagierten „nationalen Einheit“ ein Gesetz, wonach die rund 2,5 Millionen Auslandsungarn die ungarische Staatsbürgerschaft erhalten können. Kurz darauf wurde der 4. Juni und Jahrestag des Friedensvertrags von Trianon aus dem Jahr 1920, durch den Ungarn zwei Drittel seines Territoriums verlor, zum „Tag des nationalen Zusammenhalts“ bestimmt. Erboste Reaktionen, vor allem der Slowakei, folgten prompt.

Parallel dazu trat Orbán mit einer verfassungsändernden Mehrheit im Rücken seinen Marsch durch die heimischen Institutionen an. Erklärtes Ziel dabei war und ist, diese auf Kurs zu bringen. Seit August ist Paul Schmitt, ein erklärter Fidesz-Mann, neuer Staatspräsident. Er hat bereits angekündigt, alle Gesetze durchwinken zu wollen.

Nach den Kommunalwahlen, bei denen Fidesz flächendeckend abräumte, kam das Verfassungsgericht an die Reihe. Dieses kann jetzt von Fidesz-Leuten im Alleingang besetzt werden und hat wichtige Kompetenzen, beispielsweise in den Bereichen Haushalt und Steuern, verloren.

Der in Österreich lebende Ungarn-Experte Paul Lendvai warnt in seinem jüngsten Buch „Mein verspieltes Land“ vor einem „Marsch Ungarns in den Führerstaat“. Seither wurde er mehrfach bedroht. BARBARA OERTEL