el masris briefe aus amerika (2)
: „Eines habe ich hier vergessen: Ich befinde mich in dem Land, dessen Regierung mich entführte“

Gesten Abend deutscher Zeit verhandelte das Berufungsgericht Richmond im US-Bundesstaat Virginia über die Klage des Deutschen Khaled el Masri, der 2003 vom US-amerikanischen Geheimdienst nach Afghanistan verschleppt worden war. Die taz dokumentiert die Eindrücke el Masris während seiner einwöchigen Reise in die USA.

48. Straße und Lexington Avenue, Manhattan, Montag, 8.30 Uhr. Eine lange schwarze Limousine hat uns heute Morgen direkt vom Hotel abgeholt, zum Interview mit dem Fernsehsender CBS. Es ist schon spannend, hier die Straßen entlangzufahren. Ich hätte nicht geglaubt, wie viel hier los ist. Hier sind alle Ausländer. Ich falle nicht besonders auf. Geht man die Straße entlang, gibt es niemanden, der dich anschaut und vielleicht denkt: „Du gehörst nicht hierher.“ Hier sind sämtliche Nationalitäten der Welt vertreten.

Ich würde gerne mal mit einem Cabrio hier eine Tour machen. Dann könnte ich mir die Hochhäuser und die Straßen noch genauer anschauen. Als wir so herumfuhren, habe ich ganz vergessen, dass ich in dem Land bin, dessen Regierung mich entführen ließ. An das Gefängnis in Kabul habe ich gar nicht mehr gedacht.

Die Limousine brachte uns zum Holiday Inn an der West Side. Das Fernsehteam von CBS hat da schon auf uns gewartet. Die befragten mich vor allem zu meiner Zivilklage gegen die US-Regierung. Auch, warum ich in die USA gereist bin. Nach dem Interview haben sie noch ein paar Bilder von mir gedreht, draußen vor dem Holiday Inn. Endlich konnte ich eine Zigarette rauchen, im Hotel war Rauchverbot.

In der Penn Station mussten wir ziemlich lange auf unseren Zug nach Richmond warten. Als er dann endlich kam und wir einsteigen wollten, wurden wir mehrfach kontrolliert.

Mehr als sechs Stunden dauert die Zugfahrt mit dem blauen Silver Star von New York nach Virginia. Wir kamen durch mehrere Städte, darunter Philadelphia, Baltimore und Washington. Als ich so aus dem Fenster guckte, war ich ziemlich geschockt: Ich hätte nicht gedacht, dass es richtig arme Viertel hier gibt. So viel Armut und Dreck überall. Alte, rostige Brücken und kaputte Straßen. Manche Schrottplätze erinnerten mich an Orte in Kuwait oder Saudi-Arabien, wo ich früher gewesen bin.

In Washington hatten wir etwa 15 Minuten Aufenthalt – endlich konnte ich wieder eine Zigarette rauchen. Nach unserer Ankunft in Richmond wollen wir gleich ins Hotel gehen, damit wir den Beitrag über mich in den Evening News nicht verpassen.

Aufgezeichnet von Isabella Kempf und John Goetz