Der Druck auf Bush nimmt zu

Der US-Öffentlichkeit wird immer klarer, dass der Krieg im Irak verloren ist. Selbst das Weiße Haus will sich an die neue Phase anpassen. Doch wie eine andere US-Politik im Nahen Osten aussehen soll, bleibt unklar

Bisher kann US-Präsident George W. Bush nochkeinen umfassendenNahost-Plan vorlegen

Washington taz ■ In die Nahostpolitik der USA ist Bewegung gekommen. Am Montag rang sich das Weiße Haus zu der Aussage durch, dass der Krieg im Irak aus Sicht der Regierung der Vereinigten Staaten in eine „neue Phase“ eingetreten sei. Zeitgleich trat in Washington die überparteiliche Baker-Kommission zu zweitägigen Beratungen zusammen.

US-Präsident George W. Bush widersprach ungeachtet der zunehmenden Gewalt im Irak der Einschätzung, die UN-Generalsekretär Kofi Annan am Montag vorgebracht hatte, wonach der Irak kurz vor einem Bürgerkrieg stehe. Stephen Hadley, der Sicherheitsberater des US-Präsidenten, sprach allerdings von einer Notwendigkeit, sich an diese „neue Phase anzupassen“.

Bush sagte bei einer Pressekonferenz gestern in der estnischen Hauptstadt Tallinn, die wiederholten Anschläge im Irak seien lediglich Teil einer seit Monaten andauernden Strategie der Extremistenorganisation al-Qaida, Gewalt zwischen den Religionsgruppen zu schüren. Auf die Frage, ob er sich direkte Gespräche Washingtons mit Teheran und Damaskus vorstellen könne, antwortete der US-Präsident ausweichend: Es mache Sinn, wenn die „souveräne Regierung in Bagdad“ mit den Führungen Syriens und des Irans spreche. Gleichzeitig griff Bush erneut die iranische Regierung scharf an, die versuche, Atomwaffen zu entwickeln. Iraks Präsident Dschalal Talabani hält sich derzeit im Iran zu Gesprächen mit Präsident Mahmud Ahmadinedschad auf.

Von Tallinn aus reiste der US-Präsident vorgestern weiter zum Nato-Gipfel in die lettische Hauptstadt Riga. Am heutigen Mittwoch will er in Jordanien den irakischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki treffen. Mit Maliki wolle der US-Präsident über Schritte zur Anpassung an die neuen Gegebenheiten beraten, sagte Hadley. Es werde um die Maßnahmen seitens des Iraks gehen – und darum, wie die USA die Regierung in Bagdad dabei unterstützen könne. Mit Sicherheit werde Bush mit dem irakischen Premier nicht über eine Reduzierung der US-Truppen im Irak sprechen, so Sicherheitsberater Stephen Hadley. Und fügte hinzu: „Wir sind noch nicht an einem Punkt angelangt, an dem der Präsident in der Position wäre, einen umfassenden Plan vorzulegen.“

Unterdessen zitierten US-amerikanische Zeitungen Diplomaten und Regierungskreise in Washington, die sich in der Einschätzung einig sind, dass dem Weißen Haus die Behauptung, im Irak herrsche kein Bürgerkrieg, zunehmend schwerfallen werde. Hadley sagte Journalisten, statt die nationale Einheit anzustreben, müsse Bush im Irak einen Sieger ernennen. Das bedeute, dass die Sunniten keinen Anteil an der Regierung in Bagdad haben würden: „Das ist der Preis, der zu zahlen ist.“

Während Bush in Tallinn erneut Syrien und den Iran beschuldigte, Gewalt und Terrorismus im Irak zu unterstützen, berichtete die Washington Post gestern, der Krieg gegen die Aufständischen in der westirakischen Provinz Anbar sei militärisch nicht mehr zu gewinnen. Aus Angst vor dem zunehmenden Einfluss des Irans ließen sich die sunnitischen Provinzbewohner immer mehr mit der Terrororganisation al-Qaida ein, schreibt das Blatt unter Berufung auf einen geheimen Bericht der US-Marineinfanterie weiter. Angesichts dessen seien US- und irakische Truppen nicht mehr in der Lage, die Aufständischen zu besiegen. ADRIENNE WOLTERSDORF