„Das Etikett der Piraten klebt nun an der AfD“

RECHTS Der Politologe Carsten Koschmieder über den Berliner Wahlerfolg der euroskeptischen AfD

■ 30, ist Parteienforscher am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin.

taz: Herr Koschmieder, die Alternative für Deutschland (AfD) hat bei der Europawahl 7 Prozent geholt, in Berlin waren es sogar fast 8. Überrascht?

Carsten Koschmieder: Nicht besonders. Dass die AfD zwischen 6 und 8 Prozent der Stimmen bekommt, war abzusehen. Das Ergebnis ist solide, aber nicht spektakulär. Ein Prozent über dem Bundesschnitt – das liegt für mich noch im Bereich der statistischen Normalverteilung.

Die AfD selbst freut sich dagegen über einen „historischen Erfolg“ in Berlin. Dank der schlechten Politik der „Altparteien“ und einem guten Wahlkampf sei man in der Stadt besonders stark. Teilen Sie diese Analyse?

Die AfD scheint im Durchschnitt dort stärker zu sein, wo die wirtschaftliche Lage weniger gut ist. Also auch in Berlin. Allerdings standen bei der Europawahl berlinspezifische Besonderheiten nicht im Vordergrund. Erste Analysen zeigen, dass Wähler aus sieben verschiedenen Motiven für die AfD gestimmt haben, darunter Europaskepsis, Unzufriedenheit mit der europäischen Währungspolitik oder mit dem liberalen Kurs der Merkel-CDU. Ein sehr starkes Motiv war Protest gegen die etablierten Parteien: 97 Prozent der AfD-Wähler sagten, sie haben die AfD gewählt, weil sie Probleme benenne, die sonst niemand anspreche. Das heißt, dass das Etikett „Wir sind jung, frisch und anders“, das den Piraten abhandengekommen ist, nun an der AfD klebt.

Mit Hans-Olaf Henkel und Beatrix von Storch gehen zwei Berliner Kandidaten nach Brüssel. Jetzt rüstet sich die AfD bereits für den Einzug ins Berliner Landesparlament. Sind Sie da auch so optimistisch?

Ich halte es für möglich, aber keineswegs für ausgemacht, dass die AfD auch in Berlin einziehen wird. Zwei Jahre sind eine lange Zeit in der Politik. Bis dahin kann viel passieren. Kann sein, dass die AfD sich im Europaparlament zerstreitet. Oder in Sachsen einzieht und dort ultrarechte Positionen vertritt. Vielleicht zerfällt die Partei auch, wenn Lucke nach Brüssel zieht. In Berlin kommt es außerdem darauf an, wie es mit Wowereit, der SPD und dem Flughafen weitergeht – und ob die AfD von diesen Entwicklungen profitieren kann.