Ein Kamel zum Kuscheln

MOZART Im Radialsystem spielt die Taschenoper Lübeck eine gewitzte Version von Mozarts Oper „Die Entführung aus dem Serail“ für Kinder

Herzallerliebst und praktisch ist es, das Kamel. Nicht nur, dass es prima zum Sitzmöbel taugt; in seinen Höckern lassen sich Requisiten verstauen, und es hat einen abnehmbaren, sehr freundlichen Kopf. Als Konstanze ihre Traurigkeitsarie singt, greift sie wie selbstverständlich zum Kamelkopf, um zum Trost mit ihm zu kuscheln. Das kann das Publikum gut verstehen, denn die meisten ZuschauerInnen wissen zwar noch nicht, was Liebeskummer ist, sind aber dafür im besten Kuscheltieralter.

Wie macht man für so kleine Leute Oper? Sie hätten sich früher so oft über schlechte Musiktheaterproduktionen für Kinder geärgert, erzählt Margrit Dürr, die zusammen mit ihrem Mann Julian Metzger die Taschenoper Lübeck gegründet hat. Das Sängerpaar beschloss daher, selbst Abhilfe zu schaffen, und stellte 2005 die erste eigene Produktion auf die – die Kinderversion einer Erwachsenenoper, damals des „Freischütz“.

„Für Erwachsene würde ich das allerdings nicht so machen“, sagt Margrit Dürr und lächelt fein. Damit meint sie den sehr beherzten Zugriff auf die Klassiker, den die Taschenoper wagen muss, um große Werke der Opernliteratur kindgerecht einzurichten. Im Falle von Mozarts „Entführung“ geht es dabei nicht allein um Kürzung und Verschlankung des Materials, sondern eher um eine Art Neudichtung. So wundervoll die Musik auch sei, das Libretto sei schon sehr „verzopft“, sagt Dürr. So haben die Lübecker die alten Zöpfe abgeschnitten, vorsichtig beiseitegelegt, und dem Ganzen einen kühnen, witzigen Kurzhaarschnitt verpasst. Weg mit der Zweiklassenliebe auf der Herren- und der Dienerebene!

Abstimmung der Arien

Konstanze, die verkaufte und verschleppte Edeldame (in dieser Version einfach nur schiffbrüchig), und ihre Zofe Blondchen werden zu einer Person. Bassa Selim, der Herrscher, geht ganz in seinem lustigen Diener Osmin auf. Nur Konstanzes Geliebter Belmonte bleibt Belmonte, darf aber nicht mehr ganz so viel singen.

Auch in musikalischer Hinsicht nämlich ist die Lübecker „Entführung“ radikal demokratisiert worden, immer mit dem nötigen Respekt vor dem Meister, versteht sich. Der Orchesterpart wird, filigran beschwingt, von einem Streichquartett bestritten. Die Arien werden nicht aus-, sondern nur angesungen, aber immer so, dass das Singen organisch in der Handlung aufgeht. Das Publikum entscheidet in offener Abstimmung, welche von drei vorgestellten Arien Belmonte für Konstanze singen darf. Auch sonst gibt es viel für die Zuschauer zu tun. Zahlreiche kleine Mitspielrollen für kindliche Freiwillige werden vorgehalten; außerdem muss das Publikum den Umstand ausgleichen, dass eine Taschenoper über keinen Chor verfügt, und selbst als Janitscharenchor einspringen.

Die verantwortungsvollste aller Aufgaben aber besteht darin, zu entscheiden, welches Ende die Geschichte nimmt. Soll Konstanze mit Belmonte nach Hause zurückkehren? Oder bei Osmin bleiben, der doch auch ein guter Kerl ist? Gespielt wird jeweils der Schluss, den die Mehrheit des Publikums mit „Bleib! Bleib!“ oder „Fahr! Fahr!“ herbeisingt.

Die Figuren haben in der Lübecker Dreipersonenvariante, und im Spiel der drei DarstellerInnen, viel deutlichere Konturen als im Originallibretto. Margrit Dürr und Julian Metzger spielen und singen das Paar Konstanze/Belmonte in der neuen Version „resolute Zicke liebt zaudernden Softie“. Als leicht verpeilter Egozentriker Bassa Osmin stellt sich, sehr komisch, Frank Schwemmer dazwischen, der in Berlin vor allem in seiner anderen Identität als Komponist der Kinderoper „Robin Hood“ bekannt geworden ist. An dieser feinen kleinen Produktion stimmt, man kann es nicht anders sagen, einfach alles. Und nicht nur die Kinder, auch die erwachsenen ZuschauerInnen haben wahrscheinlich noch nie so viel Spaß in der Oper gehabt.

KATHARINA GRANZIN

■  Weitere Vorstellungen: Do, 23. 12. 18 Uhr, So, 26. 12., 16 und 18 Uhr