LESERINNENBRIEFE
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Klassenkampf als Option

■ betr.: „Jenseits der Staatsbürgerschaft“ (V. S. Tsianos), „Jekyll und Hyde“, I. Charim zu H. Brunkhorst, taz vom 24. 5. 14

Zwei wichtige Beiträge der insgesamt sehr lesenswerten Europa-Beilage, die sich ergänzen. Tsianos macht sich verdient um einen Hinweis, der aus der Debatte über Europa längst verschwunden ist. Das eurokommunistische Projekt – in meinem Flur hängt immer noch dieses wundervolle Plakat der portugiesischen Revolution, auf dem ein kleines Mädchen eine rote Blume in einen Gewehrlauf steckt – hat nicht nur in den südeuropäischen Ländern, sondern in ganz Europa den benachteiligten, unterdrückten und ausgebeuteten Menschen Hoffnungen gemacht. Europa aber war, wenn der Floskelspeicher geschlossen bleibt, von vornherein eine antisoziale Konstruktion, die die Reichen und Mächtigen nicht zur Beteiligung an einem sozialen Projekt ermuntern, sondern ihre Privilegien weiter stärken sollte.

Hauke Brunkhorst hat den Mut, den Klassenkampf „ganz unaufgeregt“ als Option in die Debatte über Europa zu werfen. Endlich einer, der nicht nur eine politisch treffende Analyse des europäischen Debakels liefert, sondern auch wagt darauf hinzuweisen, dass es ohne eine massenhafte Bewegung der Vielen „von unten“, die kämpferisch auch Grenzen der gesetzlich legitimierten Formen des Protests überschreitet, keine radikale, also an die Wurzeln von Ungleichheit und Ungerechtigkeit gehenden Veränderungen geben wird. Interessant ist, dass er diesen wunderbaren Impuls gleich wieder relativiert, indem er, politisch ganz korrekt, dem Europaparlament eine eingreifende Rolle zuerkennt. Dieser Gedanke ist gleich dreifach absurd: Bis es gelänge, die Machtfülle der EU-Kommission im Vergleich zum EU-Parlament konsequent einzugrenzen; bis die EU-Flüchtlingspolitik dem ersten Satz der deutschen Verfassung „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ auch nur annähernd Rechnung tragen würde; und bis im EU-Parlament die Menschen dominieren würden, für die eine politische Umsetzung sozialer, weltoffener, humanistischer Ideen Vorrang vor macht- und profitsteigernden und menschenverachtenden Maßnahmen gegen „Sozialschmarotzer“ hätte; bis dahin würde der Rhein rückwärts fließen.

Im Dialog mit Tsianos liegt mehr Brisanz: „Die Migranten hingegen realisieren ihr Europa: ein Europa der Kommenden“. Sie tragen unsere kolonialistischen Verbrechen in ihren Herzen und fordern uns zum Nachdenken heraus, und zum Nachholen: Einsicht in unsere Verantwortung für ihren Aufbruch nach Europa. Das klingt überzeugend und aufregend: Der transeuropäische Klassenkampf, der seine Impulse von denen erhält, die als Flüchtlinge und Asylbewerber wissen, wofür sie kämpfen: Für ein menschenwürdiges Zuhause ohne Hunger, aber mit der Chance auf persönliche Entwicklung, Bildung und gleichberechtigten Anteil am gesellschaftlichen Reichtum. Und genau da berühren sich Bedürfnisse und Hoffnungen, denn das sind die Wünsche auch der Benachteiligten und Ausgegrenzten hier in Deutschland und im übrigen Europa, mithin die Basis für einen gemeinsamen Kampf. GÜNTER REXILIUS, Mönchengladbach

Eine lächerliche Größe

■ betr.: „Frühling des Populismus“, „Die neuen Ressentiments“,taz vom 26. 5. 14

Mit sieben Prozent bei einer Wahlbeteiligung unter fünfzig Prozent ist man also laut Volkswirt Lucke von der AfD eine Volkspartei. Bei solchen Berechnungen ist auch klar, warum bei denen der Euro und die EU so schlecht wegkommen.

Dafür, dass man immer so tut, als spreche man für die Mehrheit der Deutschen und die AfD-Nerds im Netz die Blogs und Kommentarspalten der Informationsmedien zumüllen, sind sieben Prozentchen ja eine lächerliche Größe. MARKUS MEISTER, Kassel

Regierung unter Generalverdacht

■ betr.: „Alle gegen den BND“, taz vom 24. 5. 14

Wer sich etwas mit der Entstehung und Geschichte der deutschen Geheimdienste befasst (soweit das überhaupt möglich ist), weiß, dass es bis in die 80er Jahre gedauert hat, ehe es überhaupt zu einer gesetzlichen Grundlage für deren Arbeit gekommen ist.

Nun wird in dem Artikel öffentlich gemacht, dass erneut eine gesetzliche Regelung für die Tätigkeit des BND fehle und der Dienst zumindest teilweise verfassungswidrig arbeitet. Und wieder ist es ein CDU-Politiker, der zwar etwas kleinlaut, wissen will, was der Dienst genau macht. Dabei soll eine Prüfung aber „ergebnisoffen“ , was immer das bedeutet, erfolgen.

Ich gehe davon aus, dass eine Prüfung deshalb erfolgt, damit Fehler und Unregelmäßigkeiten aufgedeckt und abgestellt werden, also nicht ergebnisoffen sind. Im Mund eines (CDU-)Politikers hört sich ergebnisoffen für mich aber so an: Der alte, mit Verlaub, Scheiß darf weiter gemacht werden, es wird nichts verändert, vor allem nicht in rechtlicher Hinsicht. Dahinter steht die Haltung, dass nichts gegen das Ausspionieren der Bevölkerung getan werden soll. Im Gegenteil: gerade die CSU/CDU Politiker fordern doch vehement ein eigenes Gesetz für eine Vorratsdatenspeicherung, nachdem dieses Vorhaben auf europäischer Bühne erst einmal gescheitert ist.

Deshalb sollen auch, so die Hoffnung der Regierung, die Ermittlungen des NSA-Ausschusses „ergebnisoffen“ bleiben, damit weitergemacht werden kann wie gehabt. Deshalb soll auch eine Aussage von Herrn Snowden unbedingt verhindert werden. Denn dann würde ja bekannt, wie weit Frau Merkel und Herr Pofalla über die Mitarbeit des BND informiert waren und diese grundrechtswidrig gebilligt haben. Im Grunde ist es notwendig, unsere Regierung diesbezüglich unter „Generalverdacht“ zu stellen und nicht, wie bei der Vorratsdatenspeicherung geplant, die Bevölkerung. BERT WAGNER, Bochum