Der Preuße aus Wien

1969 veröffentlichte der damals 26-jährige Peter Handke ein lakonisches Gedicht. Es lautete: „Wabra – Leupold, Popp – L. Müller, Wenauer, Blankenburg – Starek, Strehl, Brungs, H. Müller, Volkert“. Verewigt wurde damit „Die Aufstellung des 1. FC Nürnberg am 27. 1. 1968“ – aus dem Pokalspiel gegen Bayer Leverkusen (2:0). Nicht wenige behaupten, Handke habe als Schriftsteller nie wieder etwas Schöneres aufgeschrieben als dies. Ein fußballerisches Kunstwerk war die Mannschaft allemal. Geschaffen hatte sie ein Mann, der den Ruf eines Schleifers besaß: Max Merkel.

In diesen Jahren war er auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Er war im Herbst 1967 an die Noris gekommen, kurz nachdem ihn 1860 München gefeuert hatte. Als Merkel in Nürnberg mit dem Leitmotiv „Schneller und direkter spielen und laufen, auch wenn der Ball weg ist“ triumphierte, wurde er als Magier gefeiert. „Merkel hat es besser als jeder andere verstanden, ein Team heiß zu machen“, so Mittelläufer Ferdinand Wenauer. Als Schwäche Merkels nannte er, „dass er Fehler nicht eingestehen wollte“ und „bereits bei leisester Kritik allergisch“ reagierte.

In Nürnberg halfen ihm nach der Meisterschaft auch seine Tiraden gegen die angeblich verweichlichten Spieler nichts („Es fehlt nur noch, dass ich ihnen eigenhändig Vaseline auf den Hintern streichen muss, bevor sie ins Stadion einlaufen“). 1969 rutschte der Club in die Abstiegszone, am Ende der Saison war der damalige Rekordmeister abgestiegen – bis heute einmalig in der deutschen Fußballgeschichte. Geboren wurde Merkel 1918 in Wien. Als Sohn eines Offiziers wuchs er auf in einer Kaserne in Simmering und schwärmte alsbald für den Arbeiterklub Rapid Wien. Als Rapid per Zeitungsinserat Spieler suchte, bewarb sich der Elfjährige – und spielte fortan als Verteidiger. Da der Sprung in die erste Mannschaft Rapids nicht gelang, wechselte er zum Wiener Sportklub. Als Trainer war Merkel ein wenig erfolgreicher. Nach einer kurzen und erfolgreichen Zeit als „Bondscoach“ in den Niederlanden wurde er in Deutschland populär, als er zwischen 1958 und 1961 Borussia Dortmund coachte.

In Nürnberg prägte er im Buch „Mit Zuckerbrot und Peitsche“ ein legendäres Motto. Nach einem Intermezzo beim FC Sevilla gewann er 1972 mit Atlético Madrid den spanischen Pokal, ein Jahr später die Meisterschaft. Später verlegte er sich aufs Schreiben. Seine bisweilen bissigen Glossen in der Bild-Zeitung trafen den Geschmack der Masse, nichtsdestotrotz leistete Max Merkel sich zeitlebens jene typisch wienerische Koketterie: „Keiner mag mich – alle wollen mich“.

ERIK EGGERS

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