Der Gastrosoph

LEBENSART Was die richtige Essenszubereitung mit dem richtigen Leben insgesamt zu tun habe, dafür interessierte sich im frühen 19. Jahrhundert der Lübecker Adelige Carl Friedrich von Rumohr. Ihm gilt derzeit eine Ausstellung

Von der französischen Küche und ihren „Vermischungstendenzen“ hielt Rumohr denkbar wenig

VON ALEXANDER DIEHL

Auch wenn er in Dresden zur Welt kam, wo er auch verstarb und durch ein inzwischen restauriertes Denkmal geehrt wird: Man darf ihn zuallererst doch als einen bedeutenden Universalgelehrten des deutschen Nordens ansehen. Aufgewachsen ist Carl Friedrich von Rumohr bei Lübeck, auf den Gütern seiner wenigstens seit dem Mittelalter in der Region nachweisbaren Familie. In Göttingen studierte er Mathematik, Philologie und Geschichte, um dann auf die holsteinischen Ländereien zurückzukehren.

Von hier aus brach er 1805, nach dem Tod seines Vaters finanziell mehr als gut ausgestattet, erstmals nach Italien auf, wo er unter anderem mit den Gebrüdern Humboldt zu tun hatte. 1809 nahm er in München ein Kunststudium auf, verfertigte bald darauf Zeichnungen seiner Heimat. Und so sehr er später auch dazu beitrug, dass der deutsche Norden als Objekt künstlerischer Auseinandersetzung wie auch als Standort bedeutender Kunstwerke ernst genommen wurde: Ein bildender Künstler, darin schon in der Kindheit gefördert, wurde er nie; zumindest kein bedeutender.

Auch sein beträchtliches literarisches Schaffen ist kaum noch präsent außerhalb von Bibliothekskatalogen: ein Roman von vier Bänden, zwei Novellensammlungen, Reisebeschreibungen und etliche kunsthistorische Beiträge, eine „Schule der Höflichkeit“ und, nicht zuletzt, die Beteiligung an teils maßgeblichen Übersetzungen ins Deutsche, etwa von Dantes „Göttlicher Komödie“. Rumohr sei „ein Dilettant, wie von Goethe geschätzt“, schreibt Wolfgang Koeppen im Vorwort zur derzeit erhältlichen Ausgabe von Rumohrs wohl einziger in Erinnerung gebliebener Arbeit, dem „Geist der Kochkunst“, die 1822 erstmals erschien. 1804 zum Katholizismus konvertiert und ab 1815 dänischer Staatsbürger, darf Rumohr, durchaus undilettantisch, als Begründer einer deutschsprachigen Kunst-, ja Kulturgeschichte gelten, der es um ein Mehr ging: Eingenommen, aber nicht trunken von den Ideen der Romantik, rehabilitierte er das Mittelalter als künstlerisch relevante Periode.

Der zeitgenössischen Tendenz, sich des Vergangenen durch stete Modernisierung zu entledigen – oder, ganz handfest: durch Überbauung –, setzten der zudem als Sozial- und Wirtschaftshistoriker ernstzunehmende Rumohr und ihm gleich Gesinnte entgegen, dass nichts ohne Geschichte sei. Diese gelte zu reflektieren, und sei es kritisch.

So ist auch „Geist der Kochkunst“ kein Kochbuch im heutigen Sinne, selbst wenn Rumohr darin immer wieder Warenkunde betreibt und die richtige Zubereitung der unterschiedlichsten Nahrungsmittel verhandelt. Denn all das teils Nachahmens-, durchweg aber Bedenkenswerte, das sich da findet über kurze Garzeiten und die Bedeutung der abgestimmten Würzung, wird immer wieder flankiert von kleineren und größeren Exkursen in die Geschichte der menschlichen Ernährung an sich, in regionale oder nationale Zubereitungssonderwege oder auch in die Sprachwissenschaft.

Schreibt der, so Koeppen, „Koch aus Leidenschaft für das Gute und Echte“ dann in einem Kapitel über die Fleischbrühe, „alle Lügen und Verstellungen“ liefen, „wenigstens in der Kochkunst, gegen die Grundsätze, welche ich befolge“, dann scheint da etwas auf, das nur wenige Seiten später, in eine heute geradezu abgegriffene Formel mündet: „daß der Mensch nichts anderes ist, als er ißt“.

Im zweiten Teil des dreigliedrigen Buchs, „Nahrungsstoffe und Würzen aus dem Pflanzenreiche“, heißt es, etwas weniger kalenderspruchtauglich, „daß die Speise einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die moralische Ausbildung der Menschen ausübt; was auch die Sentimentalität unserer Zeitgenossen dagegen einwenden möge.“

Da ist es dann offenbar kein weiter Weg, der die ganz großen Geisteswelten trennt von den denkbar elementaren, mithin gering geschätzten Sphären, die Aufklärung und die Moral von Küche und Vorratskeller, Topf und Herd.

Hier wie dort, in der Kunstbetrachtung wie beim Essen, zeigt sich Rumohr als mitunter überspannt auftretender Gegner der „Vermischung“: Geradezu schwärmerisch wird sein Ton, geht es um die italienische Küche – in strenger Unterscheidung von derjenigen im alten Rom: Diese habe wesentlich die französische Küche geprägt, von der er, gelinde gesagt, wenig hielt. Wohl auch ein Grund, warum sein Buch nie übersetzt worden ist ins Französische, „die Sprache des Mutterlandes kulinarischer Exzellenz“, wie Karl Heinz Götze im Katalog zur Rumohr-Ausstellung in Lübeck schreibt.

Vertretern eben dieser Exzellenz gilt Rumohr dennoch einiges: In der jüngsten Ausgabe des „Magazins für Essen und Leben“ Effilee erschien gerade erst ein Interview mit dem „Koch des Jahrhunderts“, Eckart Witzigmann. Nicht nur verliert der lobende Worte über Rumohrs Wertschätzung für die Kleinigkeiten, auf die es ankomme beim Kochen. Erinnert wird da auch an einen Witzigmann’schen „Klassiker der Nouvelle Cuisine“ aus dem Jahr 1976: Kalbsbries Rumohr.

Carl Friedrich von Rumohr: Geist der Kochkunst. Berlin 2010, 270 S., 10 Euro

Ausstellung „Kunst, Küche und Kalkül. Carl Friedrich von Rumohr (1785–1843) und die Entdeckung der Kulturgeschichte“, bis 16.  1.  2011, Museum Behnhaus Drägerhaus, Lübeck. Katalog hg. von Alexander Bastek und Achatz von Müller, Petersberg 2010, 29,90 Euro