: „Ich hab nie unter meinem Vater gelitten“
JOURNALISTENFAMILIE Wolf und Susanne Schneider über Härte, Spracherziehung, Luther, erste Sätze und letzte Fragen
■ Leben: Jahrgang 1925, Jugend in Berlin, verheiratet, drei Kinder, Wahlmallorquiner (1995–2005)
■ Arbeit: Dolmetscher der US-Armee, Volontariat bei der Münchner Neuen Zeitung. Danach u. a. Korrespondent der AP in München und der SZ in Washington, Stern-Verlagsleiter, Welt-Chefredakteur. Leiter der Henri-Nannen-Schule und „NDR-Talkshow“-Moderator
■ Mehr Arbeit: Auch im Ruhestand weitere Buchveröffentlichungen, Vorträge und Seminare
INTERVIEW DAVID DENK
taz: Herr Schneider, Sie sind mittlerweile 85 Jahre alt, schreiben immer noch Bücher und Artikel und geben Seminare für Journalisten, Pressesprecher, Redenschreiber. Wie lange wollen Sie sich das noch antun?
Wolf Schneider: Was wäre denn die Alternative? Ich werde oft beim Frühstück schon provoziert durch den Klassikradio-Spruch „Bleiben Sie entspannt“. Das ist eine Idiotie ohnegleichen. Erstens kann ich nicht entspannt bleiben, weil ich nicht entspannt bin, zweitens will ich gar nicht entspannen, weiß auch gar nicht, wie man das macht, und drittens weiß ich überhaupt nicht, warum man das tun sollte. Ich stehe unter Dampf, will unter Dampf stehen, und wenn der Dampf raus ist, will ich tot umfallen. Wie Molière auf der Bühne sterben – das wär’s.
Wie weit planen Sie?
Wolf Schneider: Das nächste Buch ist in Planung. Daran werde ich anderthalb bis zwei Jahre arbeiten. Und dann stellt sich die alte Frage, bei der wir uns ein bisschen entzweien: Soll ich vor dem ersten Durchhänger von mir aus aufhören – oder soll ich auf den ersten warten? Ich möchte nicht erleben, dass ich mal einer Situation mit jungen, ziemlich streitlustigen Kollegen nicht mehr gewachsen bin. Nur: Wer sagt einem, wann das passiert?
Gütige, weißhaarige Vaterfiguren mögen die Deutschen.
Wolf Schneider: Das Wort „Güte“ höre ich nicht so gern im Zusammenhang mit meiner Person. Es mag eine gewisse hintergründige menschliche Güte in mir walten, aber primär bin ich ein Pauker, ein Drillmeister, jemand, der Leistung erzwingen will.
Warum kultivieren Sie den Drillinstructor in sich so?
Wolf Schneider: Den brauch ich nicht zu pflegen, so bin ich. Das ist mein unbedingter Leistungswille. Es war ganz klar das Konzept von Henri Nannen und mir, dass man in anderthalb Jahren nicht mehr lernen kann als auf unserer Schule. Ohne Leistungsdruck, ohne Tempo, ohne Härte wäre auch die Zeit meiner Seminare zur Hälfte verschenkt.
Qualität kommt von Qual.
Wolf Schneider: Richtig.
Frau Schneider, hat Ihr Vater je „Bäh“ an den Rand Ihrer Deutschaufsätze geschrieben oder wie bei seinen Schülern einen Galgen gemalt?
Susanne Schneider: Nein, nein. Das durften nur meine Lehrer.
Wolf Schneider: Die Aufsätze habe ich gar nicht zu lesen bekommen. Da habe ich mich auch nicht drum bemüht.
Haben Sie sich besonders bemüht, Ihre Kinder für die deutsche Sprache zu begeistern?
Wolf Schneider: Wir haben Sprachspiele gemacht. Wenn Susanne und ihr jüngerer Bruder Curt bei uns waren, gab es zum Beispiel die Regel, dass derjenige, der einen Satz beim Frühstück grammatisch nicht korrekt zu Ende bringt, ein Zehnerl in die Kasse zahlen muss. Es war mein Bestreben, in einem sportlichen Umfeld mit großer Heiterkeit zur Sprachdisziplin zu erziehen. Oder das Franz-Josef-Strauß-Spiel: Das beruhte auf meiner Fernseherfahrung, dass Politiker einem nie Zeit lassen, eine Frage zu stellen. Also muss man die Kraft haben, gleichzeitig zu reden – und zu hoffen, dass das Gegenüber früher aufhört als man selbst. Davon inspiriert, habe ich dann das Spiel erfunden, dass alle durcheinanderreden, und wer zuerst aufhört, hat verloren.
Während Ihrer Tumorerkrankung, Frau Schneider, hat eine Freundin Sie als „Mensch mit starken Wurzeln“ beschrieben. Wie viel hat das mit Ihrem Vater zu tun und in welcher Hinsicht?
Susanne Schneider: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Sie hat das geschrieben.
Haben Sie mit dieser Beschreibung etwas anfangen können?
Susanne Schneider: Das ist eine Formulierung, die jeden freut, mich natürlich auch.
Wolf Schneider: Wir wussten immer voneinander, wer wir sind und wo wir sind. Oder?
Susanne Schneider: Ja, schon.
Sie haben über die sieben Monate im Krankenhaus einen mehrfach prämierten Text geschrieben: „Hurra, ich lebe noch!“. Wann war Ihnen klar, dass Sie ihn schreiben würden?
Susanne Schneider: Sobald ich wieder klar denken konnte. Was sollte ich denn sonst machen den ganzen Tag?
Hätten Sie auch darüber geschrieben, Herr Schneider?
Wolf Schneider: Ich hoffe doch sehr. Wenn mich schon so etwas Langweiliges, Statuarisches wie der Kölner Dom zum Schreiben reizt, dann solch eine extreme Situation erst recht. Darin äußert sich die journalistische Grundgesinnung: Alle Wechselfälle des Lebens sind nur dazu da, in Geschichten umgemünzt zu werden. Ich erinnere mich noch gut daran, wie meine Tochter mir stolz ihren ersten Satz präsentiert hat. Auf dem Krankenbett. Das ist eine schöne Familie!
„Wer möglichst unbemerkt auf einer deutschen Intensivstation sterben will, sollte dies gegen 14 Uhr tun.“ Zuerst wollten Sie jedoch Schauspielerin werden. Nach der Ausbildung haben Sie sich aber gegen die Bühne entschieden. Warum?
Susanne Schneider: Mangelndes Talent. Vielleicht war es auch eher die Leidenschaft, die mir gefehlt hat. Als mir klar wurde, dass ich keine ganz Große werde, habe ich beschlossen, noch das Diplom zu machen und dann aufzuhören. Ich wollte nicht nach Krefeld oder Heilbronn. An solchen Theatern beginnen ja nicht nur die meisten Karrieren, die meisten enden da auch. Auf der Suche nach einem neuen Beruf für mich sind mein Vater und ich dann relativ bald aufs Fernsehen gekommen. Da hat man mich allerdings erst mal ins Zeitungspraktikum geschickt, zur Süddeutschen Zeitung in Erding.
Wolf Schneider: Und dann hat sie die Deutsche Journalistenschule in München besucht. Es war klar, dass sie meine Schule nicht besuchen durfte. Erstens hätte man ihr nicht geglaubt, dass sie die Prüfung bestanden hat. Und zweitens wäre sie eine Spielverderberin gewesen. Wenn der Lehrer nicht da ist, müssen die Schüler den Lehrer ein Arschloch nennen dürfen.
Haben Sie Ihren Vater je als Hypothek betrachtet?
Susanne Schneider: Wenn man es nicht anders kennt, kennt man es nicht anders. Ich weiß, das Gespräch hätte jetzt interessanter verlaufen können, aber ich habe nie unter meinem Vater gelitten. Im Gegenteil: Ich war vor vielen Enttäuschungen gefeit, weil ich eine realistische Vorstellung von diesem Beruf hatte.
Wolf Schneider: Wo wirst du denn auf mich angesprochen?
Susanne Schneider: Ach, immer wieder, häufig ganz am Schluss meiner Journalistenschulenkurse, kurz bevor ich rausgehe.
Wolf Schneider: Tatsächlich, ja?
Welchen Eindruck haben Sie von Journalistenschülern heute im Vergleich zu Ihnen?
Wolf Schneider: Ich bin ja als abgerissener Soldat in den Beruf reingetorkelt. Das ist also schwer vergleichbar. Wenn ich mir die heutigen Lebensläufe ansehe, was diese 23-Jährigen schon alles gemacht haben – Weltreise, Studium an der Columbia – das ist schon enorm. Aber bergab geht es mit Allgemeinbildung, Grammatik, Rechtschreibung, Zeichensetzung. Ich verlange von einem Journalisten universale Halbbildung. Zumindest die Witterung, dass etwas nicht stimmen kann, die musst du haben.
Ist auch was besser geworden?
Wolf Schneider: In puncto Weltkenntnis nicht, die ideologische Verblendung hat aber zum Glück abgenommen. Als ich 1979 an der Henri-Nannen-Schule anfing, war die Klasse voller Leistungsverweigerer. Ein ekelhafter Lehrgang, lauter verkorkste, zu spät gekommene 68er.
■ Leben: Jahrgang geheim, geboren und aufgewachsen in München, verheiratet, zwei Kinder
■ Arbeit: Schauspielausbildung am Mozarteum Salzburg, Deutsche Journalistenschule, Redakteurin bei Tempo, Zeit Leben, Beraterin der Brigitte-Chefredaktion, aktuell Textchefin des SZ-Magazins
■ Auszeichnung: Für einen Text über ihre Tumorerkrankung erhielt sie den Emma-Journalistinnenpreis, den Hansel-Mieth-Preis und den Georg-Schreiber-Medienpreis
Susanne Schneider: Es ist auch etwas besser geworden. Die jungen Leute schreiben heute besser. Eine wichtige Qualität eines journalistischen Textes besteht darin, dass er schnell ist. Schnelle Texte sind meist gute Texte. Die ersten 30 Seiten der „Buddenbrooks“ erträgt man heute nicht mehr. Das wirkt altmodisch, langweilig, einschläfernd. Die Zeiten sind schneller geworden und damit ist auch das Schreiben schneller geworden. Ob das den Zeiten gut tut, weiß ich nicht, aber dem Schreiben tut es gut.
Wolf Schneider: Gelesen zu werden, ist heute statistisch unwahrscheinlicher denn je. Schon in der reinen Printzeit mussten Zeitungsjournalisten damit leben, dass höchstens 20 Prozent einer Ausgabe gelesen werden. Deswegen halte ich mein jüngstes Buch „Deutsch für junge Profis“ auch für modern, weil es Ratschläge für schnell zu lesendes, lebendiges Schreiben gibt.
Wie viele Bücher Ihres Vaters haben Sie gelesen?
Susanne Schneider: Alle bis auf eins, aber ich weiß nicht, welches. Viele kenne ich ja auch schon als Manuskript.
Wolf Schneider: Meine Frau ist meine erste Gegenleserin, meine Tochter die zweite. Das ist manchmal hart, aber da ich einen großen Ehrgeiz habe, gelesen zu werden, haben Gegenleser tendenziell recht. Als ich Susanne mein Sorgenkind über den Kölner Dom schickte, sagte sie nur: Bisschen viel Gotik – bisschen wenig Menschen. Eine messerscharfe, vernichtende Diagnose in einem Satz.
Ganz der Vater eben. Spielen seine Bücher in Ihrer Arbeit eine Rolle, Frau Schneider?
Susanne Schneider: Wie prägend sie sind, merke ich vor allem bei jungen Kollegen. Aber auch für mich sind sie unbewusst immer da. Wenn jemand einen umständlichen Satz hingeschrieben hat, dann bitte ich ihn etwa, die Flughafendurchsage „Aus Sicherheitsgründen bitten wir Sie, Ihr Gepäck nicht unbeaufsichtigt zu lassen“ für einen amerikanischen Freund, der nicht gut Deutsch spricht, zu „übersetzen“. Was sagen Sie?
„Passen Sie auf Ihr Gepäck auf“?
Susanne Schneider: So muss man schreiben. Und eins mach ich auch immer: alle Wörter runterkochen. Wenn von „Damen und Herren“ die Rede ist, mache ich „Männer und Frauen“ draus. Oder „speisen“. Wer speist denn? „Essen“. Darauf bin ich gekommen, weil du sagst: „Ich mache das Fenster zu“ ist besser als „Ich schließe das Fenster“.
Wolf Schneider: Ja, „zumachen“ ist besser. In der Bibel heißt es: „Klopfet an, so wird euch aufgetan“, „aufgemacht“, würden wir sagen. Luther hatte das Wort „öffnen“ zur Verfügung, aber er mochte es nicht.
Bert Brecht hat jeden Tag eine Stunde in der Luther-Bibel gelesen. Lesen Sie auch viel darin?
Wolf Schneider: Ich bin einer der wenigen Atheisten, die die gesamte Bibel gelesen haben. Ich habe auch schon mal für eine evangelische Zeitschrift die Sprache Jesu analysiert und im Oktober einen Vortrag zur Sprache deutscher Pfarrer gehalten – mit dem traurigen Fazit: Was immer ihr tut – ihr bleibt hoffnungslos hinter Luther zurück. Also schweigt ihr am besten.
Susanne Schneider: Wenn ich mal nicht in einen Text hineinfinde, gehe ich zum Bücherregal und suche ein Buch, von dem ich denke, dass es mir den passenden Ton vorgibt. Ohne den kann ich nicht anfangen. Häufig lande ich bei Kafka.
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