Das Fest der Hiebe

GEWALT Wenn die letzten Geschenke ausgepackt und die Weihnachtslieder verklungen sind, beginnt der Einsatz von Notdiensten, Paartherapeuten und Polizisten

Seit zwanzig Jahren nimmt die Gewalt in Familien kontinuierlich ab. „Aber zu Weihnachten gibt es jedes Jahr einen deutlichen Ausreißer nach oben“, sagt Christian Pfeiffer, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen: „Der Weihnachtsbaum ist kein Ort des Friedens.“ Zum Fest kehren statt Liebe Streit und Aggressionen ein.

Im Dezember bringen die Menschen sich nicht selbst um – die Zahl der Suizide sinkt in den Wintermonaten regelmäßig. Die Gewalt richtet sich an den Festtagen gegen andere: „Vom 27. Dezember bis zum Neujahr haben wir rund doppelt so viele Anrufe wie an gewöhnlichen Tagen“, sagt Irma Leisle von der Berliner Interventionszentrale bei häuslicher Gewalt.

Auch bei anderen Notdiensten steht nach den Weihnachtsfeiertagen das Telefon nicht mehr still. Der Kindernotdienst Berlin berichtet von mehr emotionalen Krisen an Weihnachten. „Vor allem getrennt lebende Eltern, die sich über den Umgang mit den Kindern nicht einigen können, haben große Schwierigkeiten“, sagt Uwe Bock-Leskien, Koordinator der Kinderschutz-Hotline. Der andere große Risikofaktor sei der Alkohol.

„Die Familien begeben sich in eine ungewohnte Nähe“, sagt der Psychologe Rainer Balloff von der Freien Universität Berlin. „Da sollen sie freundlich sein, weil es ja das Fest der Liebe und des Friedens ist. Doch das geht schief, wenn die Familien sonst nicht so viel Nähe gewöhnt sind.“

Doch ohne Familie ist es auch nicht besser. Auf Schiffen kommt es unter Seeleuten in der Weihnachtszeit schneller zu Konflikten, so Heike Proske, Pastorin bei der Deutschen Seemannsmission. Wer über die Festtage Dienst habe, frage sich häufig: „Warum muss ich gerade jetzt hier sein, wo alle anderen freihaben und mit ihren Familien zusammensein können?“

Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts GfK fühlt sich jeder vierte Deutsche vom jährlichen Weihnachtsfest massiv unter Druck gesetzt. 18 Prozent wollen das Problem an der Wurzel packen – und fordern, Weihnachten kurzerhand ganz abzuschaffen. MARTIN RANK