„Eigene Einsicht ist selten“

Der Psychiater Peer Briken behandelt am Uni-Klinikum Eppendorf Stalker. Härtere Strafen, sagt er, könnten nur einen Teil der Täter vom penetranten Belästigen ihrer Opfer abhalten

Von ELKE SPANNER

taz: Herr Briken, der Bundestag hat die Sanktionen für Stalker verschärft. Was sagen Sie aus medizinischer Sicht?

Peer Briken: Einen Teil der Stalker können Sanktionen möglicherweise von ihrem Tun abhalten. Bei anderen ist das schwierig. Wenn etwa wahnhafte Entwicklungen hinter dem Verhalten stehen, entfalten Strafen kaum präventive Wirkungen. Bei den neuen Regelungen geht es aber vor allem um den Schutz der Opfer. Bisher werden sie oft darauf verwiesen, dass erst etwas passiert sein muss, ehe ihnen geholfen werden kann.

Nach dem Gewaltschutzgesetz ist es möglich, Tätern zu verbieten, sich einem Opfer zu nähern. Halten sich Stalker an solche Auflagen?

Mir sind Fälle bekannt, in denen sie sich beispielsweise nicht an Wegweisungen gehalten haben. Insofern erscheint eine Verschärfung bei einigen Tätern durchaus sinnvoll.

Ist es schwieriger, auf die Täter einzuwirken, deren Verhalten krankhaft ist?

Wer aus einer wahnhaften Störung heraus so etwas tut, kann sicher nur schwerer begreifen, dass es ein Gesetz gibt, dem er Folge leisten muss. Ein Problem bei diesen Patienten ist gerade, dass sie sich nicht an Gesetze halten.

Wissen Stalker selbst, was sie tun?

Ein Teil schon. Ein Teil der Stalker versucht bewusst, Angst und Panik zu erzeugen. Es gibt aber auch einen großen Anteil Täter, die sich darüber gar keine Gedanken machen oder sich nicht darüber im Klaren sind, welche Folgen ihr Verhalten hat. Gerade wenn es um Opfer geht, die nicht im eigenen Nahfeld sind oder wenn entsprechendes Verhalten nicht aus dem Beziehungskontext entsteht. Männer beispielsweise, die wahllos Telefonterror betreiben und sich nicht einfühlen können, wie sehr das jemanden psychisch belastet.

Wie kommen die Leute zum Psychiater? Erkennen sie, dass sie krank sind, oder werden sie geschickt?

Unsere Patienten kommen nur selten aus eigener Krankheitseinsicht, sondern zumeist, weil sie Therapieauflagen haben oder rechtliche Sanktionen drohen.

Das Nachstellen setzt sich aus vielen Einzeltaten zusammen. Ist es ein Problem für Richter, diese insgesamt als Stalking zu erkennen?

Das Bewusstsein wächst sicherlich, weil das Thema in Medien und Politik immer mehr Beachtung findet. Aber unter dem Begriff subsumieren sich so viele heterogene Verhaltensweisen, dass diese nicht immer als Stalking eingeordnet werden.

Wie ist der Begriff definiert?

Es geht um das Nachstellen. Der Begriff kommt aus dem Jägerenglisch und bedeutet Heranpirschen oder Jagen. Stalking umfasst das Nachstellen auf sehr unterschiedliche Art und Weise, über Telefonanrufe, E-Mails, Auflauern.

Ab wann spricht man von einem Krankheitsbild?

Es gibt in dem Sinne kein Krankheitsbild „Stalking“, das in diagnostische Manuale Eingang gefunden hat. Weil es eben eher aus Opferperspektive betrachtet ein Gesamtphänomen beschreibt. Dahinter können sich krankhaftswertige Störungen verbergen, also Wahn- oder Persönlichkeitsstörungen oder auch Perversionen. Aber das ist eben nicht immer der Fall.

Schon jetzt kommen Täter wegen Stalkings ins Gefängnis, wenn sie dabei beispielsweise eine Körperverletzung begehen. Kann die erzwungene räumliche Distanz zum Opfer zu einer Heilung führen – oder geht es nach der Entlassung mit dem Nachstellen weiter?

Haftzeiten können solche Situationen entschärfen. Und wenn dann noch weitere Maßnahmen wie eine Sozialtherapie oder andere Therapien hinzukommen oder der Täter in den Maßregelvollzug kommt, kann es zum dauerhaften Kontaktabbruch zum Opfer oder auch einer Einstellung des Verhaltens führen. Vorausgesetzt, dass das Nachstellen im Beziehungskontext stattgefunden hat oder sich an eine spezifische Person richtete.

Bei Gefängnisaufenthalten wäre es also wichtig, den Aufenthalt mit Therapie zu flankieren?

Natürlich.

inland SEITE 6