Leise Szenen schlagen großes Kino

In Oldenburg wird John Adams’ nicht unumstrittene Oper „The Death of Klinghoffer“ aufgeführt. Trotz der Befassung mit Nahostkonflikt und Mord im Namen der Politik: Als Begleitmusik zum Krieg gegen den Terror taugt das hierzulande selten gespielte Stück wirklich nicht

John Adams, das riecht nach Fast Food: beinahe eine Provokation für das immer noch recht regierungspräsidial geprägte Oldenburg in Oldenburg, wo das Opernpublikum gerade in der Vorweihnachtszeit doch eher einen festlichen Abend erwarten durfte. Am vergangenen Sonntag nun feierte Adams’ „Death of Klinghoffer“ (1991) hier Premiere. Der Komponist, der „Minimal Music“ inzwischen entwachsen, lässt sich in seinen Opern häufig von tagespolitischen Ereignissen inspirieren. Mit „Nixon in China“ lachte er 1986 laut über das politische Establishment der Weltmächte. „Dr. Atomic“ exemplifizierte 2005 den atomaren Horror an der Figur Oppenheimers, des Vaters der amerikanischen Atombombe.

Mit „Klinghoffer“ reagierte der US-Amerikaner auf den Tod des amerikanisch-jüdischen Rentners und Rollstuhlfahrers bei der Entführung des Kreuzfahrtschiffes „Achille Lauro“ durch eine Terrorgruppe der palästinensischen Befreiungsfront. Seine Oper ist allerdings als Begleitmusik zum „Krieg gegen den Terror“ wenig geeignet. Adams und seine Librettistin Alice Goodman interessiert vielmehr, auf welchem Boden Terror wächst. Und was Freiheitskämpfer zu brutalen Mördern macht.

Altes Europa und Neue Welt ergeben auf dem Musiktheater eine eindrucksvolle, explosive Mischung: Griechische Tragödie und Händel’sche Oratorien bilden das formale Gerüst, die Erzähltechnik jedoch ist mit Rückblende, schnellem Szenenwechsel und Split-Screen zweifellos Hollywood entlehnt.

Adams bedient sich verschiedenster musikalischer Mittel. Für den romantisch angehauchten Melancholiker zaubert er eine Fülle unglaublichster Mittelmeeresfarben von Türkis bis Blauschwarz hervor, selbst das zarte Kräuseln der Wogen ist deutlich zu vernehmen; dem Belcantofreund schmeichelt der an Benjamin Britten erinnernde Gesangsstil; dem Rap-Fan hämmert er ostinate Brutalo-Rhythmen ins Hirn. Und der Freund musikalischer Avantgarde könnte gar den Eindruck gewinnen, zuweilen gebe es Zwölftöniges oder Serielles zu hören.

Reflektierende und aggressive Chorpartien, Monologe, Actionszenen, Stimmungsbilder und Showeinlagen sind mit ausgeprägtem Sinn für Spannungsbögen zusammengeschnitten. Schon beim Zuhören entfaltet sich da großes Kino – spannend und mit Sogwirkung. Das hat offenbar das Regieteam, Jens-Daniel Herzog und Co-Regisseur Johannes Gleim, inspiriert. Mit kleinen, dramaturgisch sinnvollen Streichungen wird das Werk zum Lichtspiel, rückt uns beängstigend nahe. Der einleitende Chor palästinensischer Frauen gleitet über in bedrängende Bilder der Intifada, aus denen heraus uns Youngsters mit Pflastersteinen bedrohen. Das Terrorkommando sitzt unter uns, es kapert nicht nur die „Achille Lauro“, sondern gleich das ganze Theater, und Klinghoffers lebloser Körper landet samt Rollstuhl im Orchestergraben. Haften bleiben werden die stillen Szenen: die zwischen dem Kapitän und dem Kommandochef auf nächtlicher Brücke etwa: Da bahnt sich ein Dialog an, der schmerzlich scheitert. Wundersam auch Klinhoffers Arie bei Absinken in die Tiefen des Meeres. Und bewegend der abschließende Versuch des Kapitäns, die Witwe zu trösten.

Das Oldenburger musikalische Personal führte Adams’ Oper an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit. Das Orchester folgte willig, aber vielleicht doch ein bisschen zu bürokratisch. Insgesamt ein aufregender Abend. Ein Besuch in Oldenburg lohnt – anderswo wird man kaum Gelegenheit haben, Adams’ hierzulande nicht im Repertoire angelangte Oper zu erleben. MARIO NITSCHE

nächste Vorstellungen: 5., 14. + 23. 12., Oldenburgisches Staatstheater