Erstochene Lehrerin: Es war Mord

Lange Jugendstrafe für minderjährigen Aussiedler aus Ahrensburg, der vor fast zwei Jahren zusammen mit seinem Bruder seine Lehrerin getötet hatte. Im ersten Prozess war der heute 19-Jährige noch glimpflich davongekommen

Alex O. war der Stolz seiner Familie und deren Sorgenkind zugleich. Er verstand kein Wort Deutsch, als er vor rund elf Jahren aus Kasachstan ins schleswig-holsteinische Ahrensburg kam und bekam trotzdem gute Noten auf der Heimgarten-Realschule. Doch schon, dass er die besuchte, stellte für ihn eine Niederlage dar – zwischenzeitlich war er sogar auf dem Gymnasium. Er war getrieben von Ehrgeiz und Enttäuschung und fand schließlich eine Person, der er die Verantwortung für das Absacken der Leistungen in die Schuhe schob: seine Deutschlehrerin Isolde F., mit der er in ständigem Konflikt war. Zusammen mit seinem großen Bruder brachte er die Lehrerin am 16. Januar 2005 um. Gestern verurteilte das Lübecker Landgericht den 19-Jährigen zu achteinhalb Jahren Haft.

Auch dieses Urteil ist für Alex als Niederlage zu begreifen. Denn er stand schon einmal vor dem Landgericht und kam mit einer Strafe von drei Jahren und zehn Monaten Haft davon. Er sei kein Mörder, sondern habe sich nur der gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht, befand die erste Jugendkammer im Oktober. Die Richter verorteten die Verantwortung für den Tod der Lehrerin alleine bei Vitali O. Der hatte alle Schuld auf sich genommen und kam für acht Jahre und neun Monate in Haft. Gegen das Urteil für den kleinen Bruder aber legten Staatsanwaltschaft und Nebenklage Rechtsmittel ein, und der Bundesgerichtshof (BGH) verwies den Fall nach Lübeck zurück. Die Kammer, die nun über Alex O. verhandelte, erkannte auf Mord.

Am Abend des 16. Januar, es war ein Sonntag, waren die Brüder zur Wohnung von Isolde F. gegangen. Unter dem Vorwand, ihre Hilfe zu benötigen, verschafften sie sich Zugang. Vor ihrer Wohnung schlugen sie die 55-Jährige mit einem Schlagring zu Boden und erstachen sie mit einem Fleischermesser, das Vitali von seiner Ausbildungsstelle in einem Restaurant mitgebracht hatte. Er habe dem Leiden des kleinen Bruders nicht länger zusehen wollen, hatte Vitali vor Gericht gesagt. Alex sei der fortwährenden Schikane seiner Lehrerin ausgesetzt gewesen.

Das Gericht aber folgte nicht der Version, die Alex als Opfer einer willkürlichen Lehrerin sah. Zwar hatte Isolde F. ein rigides Strafsystem durchgesetzt, das bei jedem Vergehen eine schlechte Note als Sanktion vorsah. Dass er die Noten bekam, habe sich Alex mit seinem Verhalten aber alleine zuzuschreiben gehabt. Was er erlebt hatte, so die Kammer, sei nicht mehr als „Schulalltag“. ELKE SPANNER