Der Sog einer langen Nacht

Vor der Tanznacht bringt das Programm „Tanz made in Berlin“ vom 1. bis 17. Dezember das Publikum schön ins Schwitzen – bis zu sieben Stücke laufen an einem Abend. Auf diesem Festival feiert die Szene sich – und ihre Entwicklung in den letzten Jahren

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Am Ende von „Tanz made in Berlin“ soll ein Gruppenbild entstehen. Jeder, der sich selbst als Teil der „Berlin dance community“ begreift, ist eingeladen, am 17. Dezember um 15 Uhr auf dem Platz neben der Volksbühne zu erscheinen für das „Dance Community Picture Berlin“. Die Einladung kommt von Myriam van Imschoot aus Brüssel, die eine Plattform für Tanz und Kritik betreibt und am gleichen Tag an der Volksbühne ein Symposium anbietet über die Lebensentwürfe von Tänzern unter den Bedingungen des globalisierten Kulturmarktes.

Der 17. Dezember ist der Tag nach der „langen Nacht des Zeitgenössischen Tanzes“, zu der die Tanzfabrik Berlin zum vierten Mal einlädt. Als dieser Abend vor sechs Jahren erfunden wurde, war nicht vorauszusehen, welchen Sog er entfalten würde. Initiator war die Tanzfabrik, die älteste und mit großer Kontinuität arbeitende Produktionsstätte für zeitgenössischen Tanz in Berlin. Hier wird seit fast dreißig Jahren nicht nur Nachwuchs ausgebildet, sondern auch kulturpolitische Lobbyarbeit für den Tanz getrieben. Die Tanznacht war der Versuch, alle Akteure, Choreografen, Tänzer und Veranstalter als eine sichtbare Größe zusammenzubringen, über die auch die Kulturpolitik nicht mehr hinwegblicken konnte.

Die Tanznacht platzte schon 2000, gleich beim ersten Mal, aus allen Nähten. Aber aus der Erfahrung, dass die kurzen Auftritte hintereinander zu wenig waren, entstand vor zwei Jahren das Programm „Tanz made in Berlin“, ein gemeinsames Projekt vieler Spielstätten, das diesmal vom 1. bis 17. Dezember läuft. Es bringt den Tanzinteressierten ganz schön ins Schwitzen.

Schon heute, am ersten Abend, hat man zwischen sieben Vorstellungen die Wahl: im Radialsystem, den Sophiensaelen, der Villa Elisabeth, dem Dock 11, dem HAU, der Akademie der Künste und der fabrik potsdam. Über zwanzig Spielorte sind einbezogen, 43 Produktionen zu sehen. Die Volksbühne zeigt eine Werkschau von Meg Stuart, im Tesla laufen Videoinstallationen von Jo Fabian und Lawrence Malstaf. An dieser Ausweitung des Blicks auf die Vielfalt der Spielorte hat Heike Albrecht einen Anteil, die für die Tanznacht Berlin als Kuratorin eingeladen wurde.

Wo immer es möglich war, ein Werk an einem Ort ganz zu zeigen, hatte das in ihren Augen Vorrang vor einer Auswahl zur Tanznacht. Heike Albrecht kommt aus Leipzig, hat aber als Dramaturgin für Tanz von dort aus schon mit Berliner Choreografen gearbeitet: zum Beispiel mit Thomas Lehmen, Ami Garmon, Constanza Macras, Xavier LeRoy. Sie glaubt, dass das Potenzial der Tanzszene für die Stadt noch nicht ausgeschöpft ist, zu viele nicht ihren richtigen Ort finden und Produktions- und Spielstättenförderung zu oft aneinander vorbeigehen. „Berlin ist nach wie vor eine enorme Begegnungsstätte, ein offener Raum, mit sehr leichtem Zugang. Zu verstehen, was hier alles möglich ist, das ist das Signal, was diesmal an die Kulturpolitik gehen soll. Gefolgt von der Frage, wie man mit dieser Vielfalt in der Stadt umgehen kann.“

Blickt man sechs Jahre zurück, zur ersten Tanznacht, dann hat sich tatsächlich viel zum Besseren entwickelt in der Situation des zeitgenössischen Tanzes. Das erste hochschulübergreifende Zentrum für die Ausbildung von Tänzern und Choreographen wird eingerichtet. Das Radialsystem, das als neue und große Produktions- und Spielstätte für Tanz, Musik, Kunst und mehr im September eröffnet wurde, erscheint wie ein gebautes Zeichen für den Zukunftsmut des Tanzes. Nicht zuletzt haben innerhalb eines Jahres kleinere Bühnen neu (oder wieder) aufgemacht, die auch auf Tanz als Programm setzen, wie die Ballhäuser Ost und Naunynstraße. Das Projekt TanzZeit, das Tanz in den Lehrplan von Schulen einbringt, schafft von einer anderen Seite aus ein wachsendes Verständnis von Tanz.

Viele Partner von sehr unterschiedlicher Größe, von der Kulturstiftung des Bundes bis zu den Choreografen, die an den Schulen unterrichten, haben in dieses Bündel investiert. Die soziale und ökonomische Existenz des Einzelnen in dieser wachsenden Szene ist noch immer höchst prekär – auch damit wird sich eine Diskussionsrunde beschäftigen. Aber in der Wahrnehmung und Anerkennung ist die Tanzszene weiter gekommen, und dafür steht „Tanz made in Berlin“.

Programm unter www.tanznachtberlin.de