Die Formbewusste

NACHRUF Im Ausland hoch gepriesen, in Deutschland unterschätzt und missachtet: Die Filmemacherin Helma Sanders-Brahms hinterlässt ein reiches Oeuvre

„Deutschland, bleiche Mutter“ wurde für die erlesene Runde der Welt-Filmklassiker auserwählt

VON SILVIA HALLENSLEBEN

Insgesamt dreißig auf den Festivals von Berlin und Cannes, Locarno und Tokio gefeierte Dokumentar- und Spielfilme, dazu Hörspiele, Aufsätze und Bücher. Bundesfilmpreis, Ehrendoktorschaft und den Ritterschlag als Chevalier des Arts et des Lettres de la France. Und das alles als eine der ersten Frauen im Fach der deutschen Filmregie.

Keine Frage: Helma Sanders-Brahms hat es geschafft, ihr Film „Deutschland, bleiche Mutter“ wurde von New Yorker Filmkritikern sogar für die erlesene Runde der Welt-Filmklassiker auserwählt. Dennoch umwehte sie auch eine dunkle Aura. Denn die international akklamierte Regisseurin und Drehbuchautorin hatte viele Jahre ihres Schaffens einen schlechten Stand bei der Kritik im eigenen Land, die ihre Arbeiten gerne als hölzern und verstiegen verstieß und mit der radikal pessimistischen Unversöhnlichkeit ihrer Haltung nichts anfangen konnte.

Begonnen hatte die am 20. November 1940 in Emden geboren Tochter einer Fotografin und eines Beamten ihre berufliche Laufbahn mit Studien erst der Schauspielerei und dann als Lehrerin. Währenddessen jobbte sie in den unterschiedlichsten Bereichen – vom Laufsteg bis zum Fließband.

Als sie nach dem Referendariat als Fernsehansagerin beim dritten Programm des WDR landete, gelang es der jungen Frau – oh, selige Zeiten! – als Reporterin für ein Interview mit Pier Paolo Pasolini nach Rom gesandt zu werden. Ein Initial-Erlebnis, bei dem sie sich – samt Hospitationen bei Pasolini und Sergio Corbucci – unheilbar mit dem cineastischen Virus infiziert, der ihren weiteren Weg bestimmt.

1970 kam dann als erste eigene – und selbstfinanzierte – Arbeit der Dokumentarfilm „Angelika Urban, Verkäuferin, verlobt“, der vom WDR abgelehnt wurde, aber bei den Kurzfilmtagen in Oberhausen Preise einheimsen konnte. Es folgten weitere Arbeiten, die die sozialen Verhältnisse der Bundesrepublik erforschen und sich zugleich durch ein seltenes Formbewusstsein auszeichnen.

1974 produziert dann die Bavaria den bildersatten Sciene-Fiction-Thriller „Gomorra“, der aus heutiger Sicht erstaunlich hellsichtig die manipulative Monopol-Macht der Medien thematisiert.

Höhepunkt dieses Werksabschnitts war 1976 „Shirins Hochzeit“, die in neorealistischem Schwarzweiß erzählte tragische Geschichte einer anatolisch-deutschen Arbeitsmigrantin, die thematisch und mit einem subjektiven Autorenkommentar auch formal Neuland betritt. Der Hauptdarstellerin Ayten Erten brachte der Film von der nationalistischen deutschtürkischen Presse Morddrohungen ein.

Der frühe Migrantenfilm und auch das Beziehungsstück „Unter dem Pflaster ist der Strand“ (1976) kamen bei der internationalen wie der deutschen Kritik positiv an als gelungener Versuch, aus weiblicher Perspektive von der Auflösung politischer Identitäten in private Befindlichkeiten zu erzählen. Der Film markierte auch einen Wechsel in Sanders’ (wie sie sich damals noch nannte) Perspektive, die sich fortan deutlich persönlicher zeigte.

„Heinrich“ führte diesen subjektiven Zugang in der Figur des von der Regisseurin verehrten Dichters Heinrich von Kleist weiter – und scheuchte damit 1977 die deutsche Kritik auf, die den Film paradigmatisch für das Desaster eines literaturverfallenen Gremienkinos sah, das sich vom Publikum meilenweit entfernt hatte und sich in hohem hohlem Kunstwillen verstieg. Dass der Film dann noch den (damals von einer Jury vergebenen) Bundesfilmpreis einheimste, machte die Sache nicht besser.

Dabei ist in der Wortwahl vieler Kritiker unübersehbar, dass die Aggression das Frausein der Regisseurin mitmeinte, obwohl es durchaus auch Feindseligkeiten aus der feministischen Ecke gab.

Ein anderes Movens der Ablehnung dürfte Sanders’ Beschäftigung mit zentralen und gewichtigen Themen deutscher Identität sein– was wiederum in Frankreich und den USA gerade gut ankam.

Bei der Premiere von „Deutschland, bleiche Mutter“ 1980 auf der Berlinale war die Richtung der Rezeption angesichts des grotesk übertrieben scheinenden Nachkriegsfrauenschicksals schon fast vorgegeben. Und auch hier wieder zeigten sich Presse und Publikum international begeistert. Dabei ist der stark autobiografisch inspirierte Film nicht nur das Schlüsselwerk für das Verständnis von Sanders-Brahms’ Arbeit und der Traumata, aus denen es sich speist. Wie die gefeierte Wiederaufführung dieses Jahr auf der Berlinale überdeutlich zeigte, hat der Abstand von über 30 Jahren auch den Blick für den filmhistorischen Rang neu kalibriert.

Die Missachtung durch die deutsche Öffentlichkeit führte bei der Regisseurin auch zu verständlicher Verbitterung, der sie immer wieder in öffentlichen Statements Ausdruck gab. Anlass zur eingehenderen Beschäftigung mit ihrem Werk war 1998 eine erste große Retrospektive im Berliner Arsenal.

Da hatte sie gerade eine erste Krebsattacke hinter sich gebracht. Doch die Krankheit hatte sie – neben widrigen Produktionsbedingungen – offensichtlich so sehr geschwächt, dass sie mit „Die Farbe der Seele“ (2003) und „Geliebte Clara“ (2008) nur noch zwei Filme zum Leinwandleben brachte. Am Dienstagmorgen ist Helma Sanders-Brahms nach langer schwerer Krankheit gestorben. „Ihr Tod reißt eine schmerzliche Lücke in die Filmlandschaft“, wie der Filmhistoriker Ulrich Gregor sagt.