Leidendes Opfer, kühle Täterin

Frauen im Widerspruch zwischen Individualität und Patriarchat: In einer Hommage an Isabelle Huppert zeigt das Metropolis in den nächsten Wochen sieben Filme mit der französischen Schauspielerin

Sa, 2. 12.,–Di, 12. 12., Metropolis; Programm: www.metropoliskino.de

Sommer in der Normandie. In „Die Spitzenklöpplerin“ spielte Isabelle Huppert 1977 die 18-jährige, schüchterne Béatrice. Die ist mit ihrer Freundin Marylène (Florence Giorgetti) ans Meer gefahren, welche aber schnell einen Urlaubsflirt kennen gelernt hat. Béatrice sitzt allein im Café, geht am Meer spazieren. Der Student François (Yves Beneyton) wird auf sie aufmerksam, weil er lautes Geprahle nicht mag. Er stammt aus einer reichen Familie vom Ort, ist zurückhaltend. Die beiden verlieben sich. François ist Béatrices erster Freund, er hatte schon eine Liaison. Wieder zurück in Paris, zieht sie zu ihm in seine für einen Studenten große Wohnung. Sie arbeitet in einem Friseursalon in Paris als Auszubildende. Als François seinen bourgeoisen Eltern Béatrice beim Antrittsbesuch vorstellt, missbilligen diese sie mehr oder weniger subtil – nicht standesgemäß. François ärgert sich deswegen, aber in seinem alltäglichen Verhalten erwartet er unausgesprochen von Béatrice, dass sie sich seiner bildungsbürgerlichen Norm anpasst. Sie versucht es, kann und will aber ihre Arbeit als Frisörin nicht aufgeben. Obwohl schlecht bezahlt, sieht sie dort ihre Freundin Marylène.

Irgendwann sind die Klassenunterschiede nicht mehr subtil, François trennt sich von Béatrice: Sie seien doch zu verschieden. Einem befreundeten Studentenpärchen erklärt er, sie sei sehr verständig gewesen, hätte in die Trennung eingewilligt. Real leidet sie still, will aber ihrer großen, schlauen Liebe nicht widersprechen. Sie zieht zurück zu ihrer Mutter in die kleine Sozialwohnung, verstummt, isst nicht mehr, bricht zusammen. Es ist fast unerträglich, wie „Die Spitzenklöpplerin“ sich in die Opferrolle fügt. Der Film kam 1977 ins Kino. Isabelle Huppert war mit einem Mal bekannt, ihre schauspielerische Leistung beeindruckend. Isabelle Huppert, geboren am 16. März 1955 in Paris, war damals 22.

Schnell spielte sie aber auch andere Frauen, die sich nicht in eine Opferrolle fügten. Sie ist 1,52 Meter klein, mit einem blassen Gesicht voller Sommersprossen, blaugrünen Augen und schmalen Lippen. Neben unscheinbaren Opfern hat sie auch widerständige Frauen gespielt, sich rächende, wie 1994 in „Biester“. Auf dem Filmplakat wurde für „Biester“ geworben mit dem Slogan „Klassenkampf“. Oft spielt Huppert starke Persönlichkeiten, die gegen patriarchale und Klassen-Verhältnisse aufbegehren. Etwas lauernd Trotziges liegt oft in ihrem Blick, wenn sie in die Kamera schaut.

Der Film mit Isabelle Huppert, der mich neben der Spitzenklöpplerin am meisten beeindruckt hat, „Les Indiens sont Encore Loin“ (Die Indianer sind noch fern), auch von 1977, läuft leider nicht in der Hommagereihe, die in der ersten Dezemberhälfte im Metropolis zu sehen ist. Aber von der umfangreichen Reihe, die Anfang 2006 in der Pariser Cinémathèque française lief, hat sich die Hamburger Kinemathek sieben ausgewählt, die in der Gesamtschau ein breites Spektrum an Frauenrollen bieten und veranschaulichen, wie facettenreich Isabelle Huppert spielen kann. Zweierlei ist in allen Filmen zu sehen: gutes Kino und Frauen im Widerspruch zwischen Individualität und Patriarchat. GASTON KIRSCHE